Hartes Maschinistenlos, viel Afrika und wenig Hofbräuhaus
Manuskript: Heinz Läuffer
Dieser Bericht ist allen ehemaligen Doxford-Fahrern und Dampfwinschen-Pflegern gewidmet Im Verlaufe der Reise nach Westafrika im Sommer 1956 zeigte sich, dass die Reparaturarbeiten in Algier nicht von Erfolg gekrönt waren. Es wurde wieder Kühlwasser im Maschineninnern festgestellt. Ein erneuter Ausbau der betroffenen Zylinderbüchse aus dem Motorblock wurde als vordringlich erachtet. Da man diese höchst anspruchsvollen Arbeiten nicht auf Reede ausführen kann, wurde unser nächster Anlaufhafen Lagos dafür bestimmt. Gemäss unserem Ladeplan stand für diese umfassende Reparaturtätigkeit ein Zeitfenster von knapp 2 ½ Tagen zur Verfügung. Nun lagen wir in Lagos am Pier von Apapa und bereiteten uns auf das unvermeidliche vor: Dass auf einer Reise derselbe Schaden zweimal auftritt ist eher selten. Das turnusgemässe Kolbenziehen betraf bei diesem Maschinentyp jeweils beide Kolben und umfasste auch das zugehörige, komplexe Gestänge bis zur Kurbelwelle. Doch das waren, sich wiederholende, eingespielte Routinetätigkeiten. Was nun am Endpunkt unserer Reise auf uns wartete überstieg eine normale Revision bei weitem. Ein Zylinderausbau ist eine Massnahme, die nicht ohne Not während einer langen Reise vorgenommen wird. Meist wird dazu eine Werft mit entsprechender Ausrüstung zur personellen Unterstützung beigezogen. Hier waren wir jedoch auf uns allein gestellt. Die M/S GENERAL DUFOUR, gebaut für den Einsatz in gemässigten Zonen, war für den Afrikadienst denn auch völlig ungeeignet. Wie alle Schiffe jener Epoche besass auch sie Windhuzen, der äusserst beengte Maschinenraum jedoch hatte keinen einzigen mechanischen Lüfter. Aufgefangen durch ein Windsegel wurde deshalb dem Manöverstand über einen langen Perseningschlauch Frischluft zugeführt. Die Wirkung war allerdings nur eine lokale und funktionierte denn auch nur bei Fahrt. Alle Hilfsbetriebe wie Kompressoren, Pumpen usw. waren dampfbetrieben und sorgten mit dem grossen 3-Flammrohr-Boiler für schweisstreibende Temperaturen. Unsere Heizer waren um ihren Job nicht zu beneiden. Bekanntlich war die Hauptmaschine unseres Kahns im Achterschiff untergebracht. Als Folge dieser Disposition ergab sich im Maschinenraum eine extrem gedrängte Anordnung der übrigen Betriebseinrichtungen. Sogar die schräg aufsteigenden Bordwände waren verbaut. Diese engen Platzverhältnisse und vor allem der sehr knappe Ablegeplatz für die zu deponierenden Bauteile, waren nebst den bescheiden vorhandenen Hilfsmitteln das grösste Problem. Die Handhabung grosser und schwerer Lasten, wie dem auszubauenden, überlangen Gusszylinder ist denn auch eine grosse Herausforderung. Der Doxford-Gegenkolbenmotor Der Doxford Gegenkolbenmotor (4 Zylinder / 8 Kolben), Leistung je nach Schiff von 3'300-4'400 PS, verlieh den Schiffen eine Reisegeschwindigkeit von ca. 12.5 Knoten. Dieser englische Maschinentyp ist gewiss eine geniale und platzsparende Konstruktion, gutmütig und zuverlässig im Betrieb, sowie dank einfachster Landmaschinentechnik wartungsfreundlich. Dieser Antrieb war für mich bezüglich Aufbau die logische Weiterentwicklung der guten alten Dampfmaschine. Während der untere Kolben direkt auf die Kurbelwelle wirkt, wird die Kraft des oberen Kolbens indirekt über das Kolben-Tragjoch und das Doppelgestänge nach unten auf die Kurbelwelle übertragen. Allerdings war die, im oberen Bereich offene Mechanik, mit den sich bewegenden Teilen, wie den Kolben-Tragjochen und dem Kraftübertragungs-Gestänge für das Wartungspersonal nicht ganz ungefährlich. Über sog. Stauferbüchsen werden die Jochgleitbahnen und sogar die auf- und nieder-wippenden Maschinenteile mit Schmierfett versorgt. Auf diese, etwas primitive Art werden ja auch Landmaschinen geschmiert. Der Wache oblag jeweils das Auffüllen der eingedrehten, leeren Büchsen. Das Wiederaufsetzen der Büchsenkappe, mit ihrem Feingewinde an laufenden Teilen war stets eine Geduldsprobe. Eine grosse Schwachstelle bildeten die am Zylinderaufbau angeordneten, sich mitbewegenden Kühlwasserschläuche. Hochbeansprucht neigten sie oft während des Betriebes zum Bersten oder Abreissen. Und dies später auf der M/S BADEN boshafterweise einige Male in meiner Wache. Quelle: Sothern's Marine Diesel Oil Engines, 10th. Edition Heisse Revision in Lagos Die hier beschriebene, strapaziöse Notrevision unserer Hauptmaschine im fernen Afrika ist längst Geschichte. Die nachfolgende «Reportage» dürfte jedoch bei vielen ehemaligen «Doxfordfahrern» nostalgische Gefühle und Erinnerungen wachrufen. Nur die folgenden 3, längst verschrotteten Traditionsdampfer unserer CH-Handelsflotte: die M/S GENERAL DUFOUR, M/S BADEN und M/S ANUNCIADA wurden nach meinem Wissen durch diesen exotischen Maschinentyp angetrieben. Viele der erwähnten Arbeitsschritte dürften den späteren Maschinisten an modernen Dieselmotoren bekannt sein. Die Arbeitsbedingungen für die Maschinencrew wurden jedoch bei späteren Schiffsneubauten entscheidend verbessert. Klimatisierte Maschinenkontrollräume sind heute weitgehend Standard. Vor Revisionsbeginn hatte der Primo (1. Eng.) seine Maschinencrew dahin orientiert, dass uns hier in Lagos eine schwierige und arbeitsintensive Zeit bevorstünde. Er beabsichtigte diese umfassenden und anspruchsvollen Revisionsarbeiten speditiv und in einem Stück durchzuziehen. Ein Landgang in Lagos / Apapa wäre daher vorerst kein Thema. Der Chief hatte keine andere Wahl, eine Weiterfahrt mit diesem Maschinenzustand war zu riskant. Ausser den wachgehenden Heizern, Dampf wurde ja für den Ladebetrieb benötigt, war die komplette Maschinencrew aufgeboten. Es wurden kleine Arbeitsgruppen gebildet. Während die einen im Motorgehäuse die Pleuelstangen von der Kurbelwelle abkoppelten und mit Kettenzügen und Muskelkraft die schweren Lagerschalen ausbauten, war eine andere Gruppe auf der Zylinderstation mit der Demontage der Brennstoff- und Kühlwasserleitungen beschäftigt. Ich war vorerst mit der Bereitstellung der benötigten Werkzeuge und Hebezeuge ausgelastet, wurde dann aber zur Mithilfe im Motorinnern abkommandiert. Das Arbeiten in diesem extrem engen, öltriefenden Gehäuse war sehr anstrengend. Mehr als 2 Mann konnten darin nicht gleichzeitig stehen und doch wäre oft eine dritte Kraft notwendig gewesen. Zum Lockern der Lagerverschraubung an der Pleuelstange wurden Schlagschlüssel eingesetzt. Diese waren indessen so schwer, dass sie mit Kettenzügen aufgehängt werden mussten. Für das Umsetzen dieser Giganten war ich nun zuständig, während der 2. Eng. aus sicherem Stand mit dem schweren Vorschlaghammer zum Schlag ausholte. Vierteldrehung um Vierteldrehung wurden die Muttern an den Stehbolzen gelockert und gaben so die Lagerschalen frei. Das Einschaben und Abtuschieren derselben war eine zeitraubende Tätigkeit, mussten doch jedesmal die Lagerschalen montiert und nach einer vollständigen Umdrehung wieder ausgebaut und kontrolliert werden. Diese Übung wird bekanntlich so lange fortgesetzt bis die halbrunde Lagerfläche überall trägt. Nur so kann ein späteres Heisslaufen vermieden werden. Ein Unikum war unsere dampfangetriebene Turnmaschine. Es dauerte immerhin einige Minuten bis eine volle Umdrehung vollzogen war, sodass wir jeweils zu einer wohlverdienten Pause kamen. Alle diese Verrichtungen sind jedem Maschinisten wohlbekannte Standardtätigkeiten, nur in diesen Breitengraden unweit des Äquators wurden sie ohne ausrechende Frischluftzufuhr zur körperlichen Qual. Erschwerend kam hinzu, dass die Kesselanlage währenddessen Dampf liefern musste. Die Arbeitspausen an Deck zum Luftschnappen wurden immer häufiger und länger. Inzwischen wurde der, als Schadenstelle identifizierte Motorzylinder ausgebaut und gesichert zur Weiterbehandlung abgestellt. Der ohne grosse Probleme verlaufene Aus- und Wieder-Einbau dieses überlangen und gewichtigen Maschinenteils mit den verfügbaren Mitteln war eine Meisterleistung. Nun stand uns zwei «Flurplatten Indianern» die anstrengendste, schmutzigste Arbeit bevor, das Reinigen der Spülluftschlitze. Es zeigte sich nun wie erschwerend die engen Platzverhältnisse für eine speditive Revisionsabwicklung sind. Die ganze Übung war eine elende, schweisstreibende Schufterei. Wir waren denn auch hart am Limit unserer Leistungsfähigkeit, der Durchhaltewille wurde arg auf die Probe gestellt. An Motivation fehlte es nicht, hatten wird doch das gemeinsame Ziel, möglichst schnell die sichere Heimreise antreten zu können. Nach zwei langen, harten Arbeitstagen, nur unterbrochen durch kurze Verpflegungspausen war es soweit. Unsere Hauptmaschine konnte mit vertäutem Schiff zum Probelauf gestartet werden, er verlief zufriedenstellend. Nun gab es kein Halten mehr, Landgang war angesagt. Eiligst machten sich alle Beteiligten landfein, der penetrante Diesel- und Petrolgeruch musste aus den Poren und Haaren gewaschen und die geschundenen Hände gepflegt werden. Verdienter Landgang Die Schweizercrew verschob sich alsbald geschlossen in die, bei Afrikafahrern wohlbekannte «Dressler-Bar» in Apapa. Der grosse Biergarten war ein Ort der Völkerverständigung, insbesondere zwischen Schwarz und Weiss. Unter freiem afrikanischen Himmel gab es hier musikalische Unterhaltung, vor allem aber kühles, deutsches Bier wie das bestbekannte «Becks» oder das «Sankt Pauli Girl». Hier verkehrten auch viele Seeleute der deutschen «Woermann-Reederei», welche einen Liniendienst nach Westafrika unterhielt. Dies dürfte denn auch der Grund gewesen sein, weshalb hier, fern der Heimat so oft deutsche Evergreens und Schlager aufgelegt wurden. Plötzlich, wir sassen schon vor dem x-ten Bier, erklang aus der Musikbox, ein damals bekanntes Lied. Es basierte auf einem Gedicht von Gottfried Keller mit dem Titel «Im afrikanischen Felsental marschiert ein Bataillon» und beschreibt die Mühsal der Fremdenlegionäre fernab der Heimat. Ein in deutsch vorgetragenes Lied vor einer multikulturellen Zuhörerschaft in einem afrikansichen Biergarten war sicher nicht alltäglich. Der deutsche Interpret dieses Liedes löste in vielen von uns Emotionen aus, die nur schwer zu beschreiben sind. Es war eine Mischung von Fatalismus, physischer Erschöpfung, heimlichem Erfolgsstolz und dem Gefühl alles gegeben zu haben, aber auch unterdrücktem Heimweh. Gebannt lauschten wir dem etwas schwermütigen Liedtext, der unsere damalige Gemütslage treffend wiedergab, und manch einer wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel. Auch heute noch, wenn dieses Lied im Radio ertönt, was selten vorkommt, weile ich für wenige Augenblicke weit weg im fernen Nigeria. Auf der Rückreise zeigte sich, wir hatten ganze Arbeit geleistet. Die Hauptmaschine lief rund, das Eindringen von Kühlwasser in den Motorblock unterblieb. Inzwischen haben sich in der internationalen Seeschifffahrt die Zeiten geändert. Im harten Konkurrenzkampf wird der Kostendruck über Seeleute aus Drittweltländern und die Mannschaftsgrösse aufgefangen. Diese Besatzungen sind aufgrund ihrer Ausbildung und der reduzierten Mannschaftsbestände kaum mehr in der Lage grössere Revisionen selbständig auszuführen. Dazu müssen zwingend Werften aufgesucht werden. Auch grosse Frachter fahren heute mit weniger als 20 Mann Besatzung. So gehört unsere damalige Operation aus den obgenannten Gründen, aber vor allem mangels entbehrungsbereiten Seehelvetern, nicht wiederholbar zur Geschichte der Schweizer-Hochseeschifffahrt. 14. August 2017, Heinz Läuffer Die weniger romantische Seite der Seefahrt oder mein erstes Schiff
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