Die weniger romantische Seite der Seefahrt oder mein erstes Schiff
Manuskript: Heinz Läuffer
Vorwort Rückblickend lässt sich die Schweizer-Seeschifffahrt der Nachkriegsjahre grob in zwei Epochen unterteilen. Erstens die Aufbauzeit, gekennzeichnet durch eine heterogene Flotte, mit aus zweiter Hand erworbener General-Cargo-Frachtern mittlerer Grösse. Zumeist Nachkriegsbauten, ausgerüstet mit Vorkriegstechnik und wenig Komfort für die Mannschaft. Einzelkabinen für alle Seeleute waren noch nicht üblich. Moderne Neubauten bildeten noch die Ausnahme. Man fuhr anfänglich noch ohne Seemannsbuch, die Gesetzgebung zur CH-Seeschifffahrt trat erst am 1. Januar 1957 in Kraft. Die goldene Zeit für unsere Handelsflotte begann in den sechziger Jahren. Eine wachsende Anzahl moderner Neubauten, teils frachtspezifische Spezialschiffe wurden in Dienst gestellt. Die mit neuesten Ladeeinrichtungen ausgestatteten Einheiten wurden bezüglich Tonnage immer grösser. Der Komfort an Bord hielt nun Schritt mit der Zeit. Durch die Einführung des Seemannsbuches als offizieller Leistungsausweis erhielten die Seeberufe endlich ihren verdienten Stellenwert. Die Anzahl seefahrender Eidgenossen erreichte damals ihren Höchststand. Das ist leider seit der Jahrhundertwende bereits Geschichte. Leider habe ich es nicht geschafft, meine Fahrenszeit in diese Neuzeit auszudehnen und so blieben mir nur die zwiespältigen Erfahrungen der Fünfzigerjahre. Mein erstes Schiff Am 15. Mai 1956 fuhr ich erwartungsvoll nach Genua. Ich sollte auf der M/S GENERAL DUFOUR der ‘’Nautilus Line’’ als Carbonaio anmustern. Gewitzigt durch frühere Vorkommnisse liess die Reederei ihre neu rekrutierten Seeleute die Hinreise vorerst selber bezahlen. Nach einigem Suchen im Werftgebiet wurde ich fündig. Die M/S GENERAL DUFOUR, mein neues Zuhause lag mit demontierter Schraube im Trockendock. Ihr Unterwasseranstrich sollte erneuert werden und auch in der Maschine standen Revisionsarbeiten an. Wir drei Neulinge im Maschinendienst: Hans Pflugshaupt und ich, beide angemustert als ’’Carbonaio’’ und der Heizer Walter Bützer wurden nach der Begrüssung gleich in Pflicht genommen. Gleichentags fand im Konsulat mit weiteren Zugängen die formelle Anmusterung und die vorgängige sanitarische Untersuchung statt. Auch ich wurde diensttauglich befunden. Meine Oberarme haben kaum ausgereicht, um die vielen, gleichzeitig verpassten Impfungen aufzunehmen. Der Heuervertrag mit der Transoceanic Suisse SA war in italienischer Sprache abgefasst. Trotz kurzgehaltener Übersetzung, nur wer dieser Sprache mächtig war, wusste auch was er unterschrieb. Meine Heuer betrug Fr. 330.00 / Monat, die Überzeitvergütung Fr. 2.05 / Stunde. Die Unterhaltsarbeiten im Dock sollten etwa zwei bis drei Wochen dauern und so lange mussten wir mit einigen Einschränkungen und Improvisationen leben. So konnte das Essen an Bord nur gestaffelt eingenommen werden, da anscheinend nicht ausreichend Geschirr und Besteck vorhanden war. Der Reparaturbetrieb verlief sehr hektisch und war schwer zu überschauen. Man wusste nicht, wer zur Stammmannschaft gehörte und wer als Werftarbeiter tätig war. Viele der letzteren hofften, bei Mannschaftsvakanzen angeheuert zu werden. In Italien herrschte damals grosse Arbeitslosigkeit und wir wurden als Konkurrenz empfunden. Besonders störend war, dass sich bei so viel Fremdpersonal an Bord viele unserer Kabinentüren nicht mehr verschliessen liessen. Nach der Auswasserung war der Schiffskörper natürlich arg verzogen. Durch die temporäre Schliessung der WC’s und Duschen an Bord wurde unser Alltag zusätzlich erschwert. Klar durften wir die Einrichtungen der Werft benutzen, diese waren jedoch für uns komfortverwöhnten Schweizer gewohnheitsbedürftig. In langen Reihen standen sich die halboffenen Latrinen gegenüber, blickgeschützt nur durch halbhohe ’’Salon-Pendeltüren’’. Die lange Aufenthaltsdauer im ’’Heimathafen’’ der Nautilus-Line nutzten wir zur Erkundung dieser, für unser Land so wichtigen Hafenstadt. Als Treffpunkt und Stammlokal wählten wir das in Hafennähe an der Via Gramsci gelegene Etablissement ’’Zansibar’’. Endlich war es soweit, meine erste Reise konnte beginnen. Das Trockendock wurde geflutet und wir verholten zum Laden an ein Hafenpier. Am folgenden Abend liefen wir aus, mit Ziel Livorno. Diese kurze Seefahrt erwies sich nun als Prüfstrecke sowohl für die frisch überholte Hauptmaschine wie auch für uns neu angemusterte Landratten. Das noch weitgehend leere Schiff lag recht unruhig in der mässig bewegten See. Wir Neuen kämpften in der Koje liegend mit der aufkommenden Seekrankheit. Dazu blieb jedoch keine Zeit, Hans P. und ich wurden mitten in der Nacht zu einem Sondereinsatz in die Maschine beordert. Die Wache hatte festgestellt, dass die Bilge nicht gelenzt werden konnte. Der Wasserspiegel stieg konstant an, offenbar war der Ansaugstutzen der Lenzpumpe verstopft. Eine besondere Aufgabe für die beiden Spezialisten fürs Grobe. Der Pegelstand dieser schwarzen, öligen Brühe war bereits bedrohlich hoch. Die Armlänge reichte nicht mehr aus, den tiefliegenden Ansaugstutzen zu erreichen, welcher ja ausgebaut werden sollte. Blind tastend wurden schwer gängige Muttern mit dem Meissel gesprengt und so die Verschraubung gelöst. Ich weiss nicht mehr, wie oft ich während dieser stundenlangen Tortur in die Bilge gekotzt habe. Hans P. und ich waren nicht die einzigen Leidenden, auch der Heizer Walter B. konnte sich kaum von seinem Putzkübel trennen. Die Seekrankheit sollte mich noch einige Zeit begleiten und ich fragte mich oft, wieso ich mir das überhaupt antue. Nun meine neue Tätigkeit war interessant und befriedigend, die Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord hingegen weniger. Die beiden Carbonaio, meist Seenovizen waren ja nicht nur für die unangenehmsten und schmutzigsten Arbeiten zuständig, ihnen wurde jeweils auch die heisseste Zweierkabine zugewiesen. Diese lag direkt über dem Dampfkessel. Das Barfussstehen auf dem Kabinenboden war nahezu unmöglich. Um zur Kühlung den Fahrtwind auszunutzen wurden Leitbleche in die Bullaugen montiert. In den tropischen Häfen Westafrikas führten auch Kabinenventilatoren nicht zu einem erholsamen Schlaf. Ein Nachtlager auf Deck ohne Moskitonetz war nicht ratsam. Und in der Tat, die M/S GENERAL DUFOUR war bezüglich ihrer technischen Ausrüstung völlig ungeeignet für den Einsatz in tropischen Klimazonen. Eine Bord-Klimaanlage war nicht vorhanden und auch in der Maschine gab es keinen einzigen mechanischen Lüfter. Über einen temporär ausgelegten Persenningschlauch wurde mittels Auffangsegel dem Manöverstand etwas frische Luft zugeführt. Dies funktionierte befriedigend nur bei Fahrt. Der achtern angeordnete Maschinenraum war sehr eng. Im Kesselbereich herrschten dann im Hafen oft Temperaturen gegen 60° C. Wie weiter wir uns von Europa entfernten, desto eintöniger und schlechter wurde das Essen. Im Gegensatz zu anderen Compagnien stellte unsere Reederei keine eigene Küchenmannschaften an. Sie verpflichtete eine Drittfirma, welche für einen festgelegten Kostensatz pro Person und Tag die Verpflegung inklusive Einkauf übernahm und auch die Küchenmannschaft stellte. Diese Firma war ebenfalls für andere Schifffahrtsunternehmen tätig, sodass wir auch Fleisch angeliefert bekamen, welches bereits mehrere Reisen auf Passagierlinern hinter sich hatte. Also weitgehend ungeniessbar war. Wir Schweizer mussten auch zur Kenntnis nehmen, dass auf vielseitigen Wunsch unserer italienischen Kollegen, und die waren in der Mehrheit das allerorts übliche Brotfrühstück abgeschafft wurde. Man wollte, wie man uns erklärte, lieber Geld sehen. Wer trotzdem frühmorgens Hunger verspürte, konnte die Küche aufsuchen. Dort bekam man vom Koch aus dem grossen Fass eine Handvoll Ölsardinen auf den Teller geknallt, dazu gab es vorgesüssten Einheitsmilchkaffee. Eier und Früchte habe ich jedoch auf diesem Hungerdampfer nie gesehen. Aber was solls, wir Neulinge hatten keine Erfahrung und vorerst auch keine Vergleichsmöglichkeiten. So waren wir bereit für einen Start in eine neue Berufslaufbahn einiges zu übersehen. Eine spätere Intervention bei der Schiffsführung, dem italienischen Kapitän blieb natürlich erfolgslos. Wir zehn Schweizer verlangten daraufhin bei Ankunft im Hafen Genua ultimativ den Besuch eines Vertreters des Seeschifffahrtsamtes. Der Schiffsinspektor der Reederei und der Mann des besagten Amtes hörten sich unsere Klagen geduldig an. Der Inspektor fand unsere Forderung nach einer Verbesserung an der Verpflegungsfront allerdings etwas übertrieben. Aber man einigte sich schliesslich auf einen Kompromiss. Drei bis vier Mal pro Woche sollten wir ein nahrhaftes CH-Frühstück erhalten d.h. Brot, Kaffee und garantierte 20 g Butter. Also was zu Hause in jeder Familie zum täglichen Standard gehört, war in unserem harten Job die nun bewilligte Ausnahme. Und es kam wie es kommen musste. Kaum hatten wir auf der folgenden Reise Gibraltar hinter uns gelassen war dieses Zugeständnis bereits vergessen. Das Schiff war schon einige Zeit nicht mehr ausgegast worden und so hatten die Kakerlaken die Küche bereits wieder zurückerobert. Beim täglichen Brotbacken fielen diese nun dem Koch in die Teigmulde. Das mühsame Ausstechen der Käferleichen aus den Brotscheiben gehörte nun bei den Hauptmahlzeiten zum üblichen Ritual. Auch der Tee in der Teekiste hatte Beine. Das grösste Ärgernis nach der ungenügenden und schlechten Verpflegung war jedoch der stets auftretende Wassermangel auf den Rückreisen. War doch schon die Wasserqualität des Brauchwassers höchst fragwürdig, wurde es auch noch rationiert. Pro Mann und Tag wurde nur noch eine Pütz voll dieses kostbaren Nass abgegeben. Diese Zuteilung musste reichen zum Trinken und zur täglichen Körperpflege. Aus dieser Not heraus wurde von uns Maschinisten die ’’3-Stufen-Körperreinigung’’ erfunden. Erstens Vorreinigung mit Dieselöl oder Petrol, sodann sparsames Waschen mit Wasser und Schmierseife. War Landgang angesagt und die Wasserration reichte, kam noch ein Feinwaschgang mit Toilettenseife hinzu. Einigen Leuten der Maschinenwache war dieses Prozedere jedoch zu anstrengend. Sie erschienen zum Essen jeweils ungewaschen und säuberten ihre schmierigen Hände mit dem Innern der frischen Tischbrötchen. Dieser Frevel wurde von der CH-Crew jedoch schnell abgestellt. Die heutige Werbung für Mineralwasser empfiehlt einen, für die Gesundheit notwendigen Tageskonsum von zwei bis drei Litern. Davon waren wir natürlich weit entfernt. Aber Not macht erfinderisch. Nach alter englischer Seefahrertradition der ’’Limey’’ versetzten wir das mit Zementabtrieb der Tankauskleidung angereicherte ’’Trinkwasser’’ mit Limonensaft. Limonen waren in Westafrikas-Häfen wohlfeil zu haben. Biertrinken war keine Alternative, denn unser italienisches Bordbier war nur eiskalt und bei unterdrückten Geschmacksnerven geniessbar. Ich werde den Verdacht nicht los, dass diese Wasserknappheit bewusst herbeigeführt wurde, um mehr Ladung aufnehmen zu können. Man wusste auf der Brücke natürlich auch, dass eine offizielle Kontrolle der Freibordmarke erst im ersten europäischen Hafen erfolgte und sich der Betriebsstoff- und Wasserverbrauch bis dorthin berechnen liess. Zur allgemeinen Beruhigung galt, der überwiegende Teil unserer Ladung bestand ja aus Tropenholz. Besonders unschön und diskriminierend war jedoch die erwiesene Ungleichbehandlung bezüglich Anrechnung der Überzeit. Überstunden mussten ja für den Schiffsunterhalt geleistet werden. Plan- und steuerbar bildeten sie ja auch den flexiblen Lohnanteil. Nun waren wir aber längst der Überzeugung, dass unsere italienischen Kollegen dieses Vehikel zu ihren Gunsten übersteuerten. Der Afrikadienst war anstrengend und auch kräftezehrend, also verzichtete die CH-Crew an Sonn- und Feiertagen möglichst auf Überstunden. Ein normaler Arbeitstag umfasste so leicht zwölf Arbeitsstunden. Nicht so unsere Südländer, diese arbeiteten bis zum Umfallen, was auch oft genug vorkam. Der Betroffene pausierte dann für einige Arbeitstage. Die Gesamtarbeitszeit, insbesondere der Deckscrew, überschritt oftmals die höchstmögliche Anzahl Monats-Arbeitsstunden. Als dann ruchbar wurde, dass den ’’Bettlägrigen’’ für diese Ausfallzeit ebenfalls die entgangene Überzeit angerechnet wurde, war das Mass voll. Umso mehr als wir Schweizer zuvor von der Reederei gerügt wurden, weil wir im Vergleich mit den Italienern offenbar nicht bereit waren, mehr Überstunden zu leisten. Von der Schiffsführung verlangten wir mit Nachdruck strikte Gleichbehandlung. Wie diese erfolgen sollte, überliessen wir unseren Vorgesetzten. Es sollte jedoch zu unserem Schaden nicht sein. Vieles pendelte sich inzwischen ein, nur die Verpflegung wurde nicht besser. Was hingegen bestens klappte, war die Abgabe der täglichen Weinration. Böse Zungen behaupteten allerdings, dieser Rotwein hätte nie Reben gesehen. Als Selbstversorger deckten wir uns jeweils in den Anlaufhäfen mit vitaminreichen Früchten ein. Mengen von Limonen, Orangen und Ananas sowie ganze Bananenstöcke wurden an Bord geschleppt. Letztere hatten allerdings den Nachteil, dass alle Bananen fast gleichzeitig reif wurden. Zwei bis drei stopften, mehr davon bewirkten allerdings das Gegenteil. Alle Seeleute, die in jenen Jahren von zu Hause weg auf grosser Fahrt waren, die waren wirklich weg. Kontakt mit den Angehörigen war in der Regel nur auf dem Postweg möglich. Auch was sich auf der Weltbühne ereignete vernahm man mit grosser Zeitverzögerung. Man war eben noch nicht ’’online’’. Wer sich nun trotz der geschilderten Missstände dazu entschloss, auf diesem Dampfer noch für weitere Reisen zu verbleiben war hart im Nehmen und dürfte der Seefahrt noch einige Zeit erhalten geblieben sein. Dass es jedoch in denselben Jahren für die Mannschaft angenehmere Schiffe gab, davon konnte ich mich bei Besuchen auf der M/S MALOJA und M/S CARONA selbst überzeugen. Auf meinem zweiten Schiff, der M/S SUNAMELIA gab es nur Einzelkabinen und die Verpflegung war ausgezeichnet. Die maximal zwölf Passagiere erhielten das gleiche Essen wie die Crew, jedoch einen Gang mehr. Eier zum Frühstück und eine Zwischenmahlzeit in den Arbeitspausen war hier selbstverständlich. Heinz Läuffer, 26. April 2019 |