Die Reederei San Giorgio S.A. di Navigazione mit legalem Sitz in Chur, Graubünden, aber mit dem Betriebsbüro in Lugano, im italienisch sprechenden Kanton Tessin, wurde 1949 von lokalen Geschäftsleuten aus Lugano gegründet.

Das Aktienkapital gehörte der Privatbank Francesco Ferrazzini, Lugano, die 1969 von der Finter Bank, Zürich übernommen wurde. Einer der ersten Verwaltungsräte war Dr. Waldo Riva (1905 bis 1987) aus Lugano, ein Anwalt, Politiker und hoher Armeeoffizier. Von 1943 bis 1947 und nochmals im Jahr 1951 war er im Nationalrat. Im November 1949 wurde er als Verwaltungsrat von Dr. Luigi Fontana ersetzt. Ein Jahr später folgte Guido Ferrazzini, der Bruder von Francesco Ferrazzini.

Als treibende Kraft hinter dem Unternehmen vermuteten die Bundesbehörden Dr. Agostino Nizzola (1869 bis 1961) aus Lugano, ein Onkel von Francesco Ferrazzini. Er war Elektroingenieur and hatte Einsitz in den Geschäftsleitungen der grossen Elektrounternehmen, BBC Brown Boveri & Cie., Baden und Motor-Columbus AG, Baden, sowie in verschiedenen Elektrizitätsgesellschaften.

Die San Giorgio S.A. di Navigazione, Chur besass nur zwei alte Frachtdampfer, die GENEROSO von 20.05.1949 bis 12.12.1952 und die SAN SALVATORE von 30.10.1950 bis 27.01.1953, beide Schiffe fuhren unter der Schweizer Flagge. Der Betrieb der zwei Schiffe wurde von den Eignern durch ihr Betriebsbüro San Giorgio S.A. di Navigazione, Via Ariosto 1, Lugano ausgeführt. Die Schweizer Regierung verlangte, dass der Betrieb vermehrt aus der Schweiz ausgeführt und kontrolliert werde, daher fragten die Eigner den italienischen Reeder Dr. Sebastiano Tuillier (1910 - 1982) aus Venedig und Genua in die Schweiz zu kommen und den Betrieb der Schiffe zu überwachen, allerdings ohne Zeichnungsberechtigung zu erhalten oder ihm Einsitz im Verwaltungsrat zu gewähren. Wir müssen daher annehmen, dass eine Form von Bürogemeinschaft eingegangen wurde und Dr. Tuillier nach seinen eigenen Schiffen schaute und beratend die Geschäfte der San Giorgio S.A. wahrnahm. Heute mutet es wohl befremdend an, dass Dr. Tuillier unter diesen für ihn ungünstigen Bedingungen nach Lugano zog, aber die Nachkriegswirren und die damalige allgemeine Unsicherheit in Italien machen diesen Entschluss gut verständlich.

Die Reederei versuchte durch die Vermittlung der Bundesbehörden in Bern eine Genehmigung der italienischen Verwaltung zur Küstenschifffahrt entlang der italienischen Küste zu erlangen, jedoch wurden diese Anträge stets abgelehnt. Als Begründung wurde die ungenügende Auslastung der eigenen, unter italienischer Flagge fahrenden Schiffe angegeben.

Wir wissen nicht, aber möglicherweise hatte die Verweigerung der Kabotage in Italien der Reederei ein rasches Ende bereitet. Die GENEROSO wurde 1952 an italienische Eigner in Genua verkauft, wurde jedoch weiterhin von Dr. Tuillier verwaltet. Sie fuhr weiterhin mit dem gleichen Namen, aber unter italienischer Flagge bis zu ihrer Verschrottung 1961 in Italien. Die SAN SALVATORE wurde schon 1953 zum Abwracken verkauft.

Nachdem die San Giorgio S.A. di Navigazione im Jahr 1953 ihre Tätigkeit eingestellt hatte, verblieb Dr. Sebastiano Tuillier in Lugano bis zu seinem Lebensende. Für viele Jahre betrieb er seine Flotte im gleichen Büro an der Via Ariosto 1, Lugano, bis er neue Räumlichkeiten in der Nachbarschaft bezog. Um das Jahr 1977 wurde er Schweizer Bürger.

SwissShips, HPS, März 2014