GESCHICHTE DER LEPONTIA AG CHUR
Die Aktien der Lepontia Società di Navigazione Marittima S.A. Chur gehörten Annie und René Dollfuss, Witwe und Sohn von Korpskommandant Ruggero Dollfuss (1876 bis 1948) aus Castagnola und Kiesen BE (zwischen Bern und Thun), Bernardo Caverzasio aus Chiasso, sowie dem bekannten Tessiner Dr. Waldo Riva (1905 bis 1987) aus Lugano, ein Anwalt, Politiker und hoher Armeeoffizier. Ruggero Dollfuss und sein Vater hatten ihr Geld als Unternehmer in der chemischen Industrie gemacht, aber auch Bernardo Caverzasio war im gleichen Sektor tätig und gründete 1929 die Firma ICR Industrie Chimiche Riunite S.A. Chiasso, die noch heute besteht.
Am 27.10.1951 erwarb die Lepontia Società di Navigazione Marittima, Chur den Frachter CAPO ARMA und liess ihn unter dem Namen LEPONTIA I ins Schweizer Seeschiffregister eintragen. Dr Waldo Riva, als Mitglied des Verwaltungsrates der Banco di Roma per la Svizzera, Lugano arrangierte ein Darlehen für das Schiff. Das Management übernahm die G.E.N. Gestione Esercizio Navigazione, Chiasso, eine Tochtergesellschaft der G.E.N. in Genua (Fratelli Cosulich). Es scheint, dass anfänglich der Frachter in Zeitcharter für eine US-Firma gefahren ist, doch Näheres ist nicht bekannt. Nach knapp viereinhalb Jahren wurde der Dampfer am 05.02.1955 an griechische Interessenten weiterverkauft, die das Schiff als DEMETRIOS unter der Flagge von Costa Rica fahren liessen.
Schon bei der Flaggenrechtsvergabe wurden verschiedene Fragen aufgeworfen, die diese Reederei wohl nicht erfüllen konnte und wahrscheinlich auch nicht erfüllen wollte. Die wichtigste Frage war die Verwaltung des Schiffes, die Behörden forderten, dass die Kontrolle über den Betrieb des Schiffes in Schweizerischen Händen liegen musste, was natürlich mit der G.E.N. nicht gegeben war. Aber mit nur einem Schiff war es jedoch schwierig und kostspielig eine solche Organisation aufzubauen. So blieb es dabei, dass die Firma versprach, nach dem Erwerb von weiteren Schiffen sich um diese Angelegenheit zu kümmern. Eine weitere Forderung betraf das Anheuern von Schweizer Seeleuten, aber vermutlich hatte nie ein Schweizer je den Fuss an Deck ihres Schiffes gesetzt, es war wohl fest in italienischer Hand.
Andere Bedenken betrafen das Aktienkapital der Dollfuss. Der Vater von Ruggero Dollfuss gründete ein Chemiewerk in Mailand und leitete auch das Bankhaus Dollfuss in dieser Stadt. Über die Steuerämter konnte man feststellen, dass die Vermögen von Annie und René Dollfuss aus der Schweiz herrührten und kein ausländisches Kapital vorhanden war. Somit war finanziell alles zum Besten, aber die Kontrolle der Verwaltung gab Anlass zur Besorgnis. Jedenfalls kaufte die Firma keine weiteren Schiffe und hatte vermutlich nach dem Verkauf der LEPONTIA I ihre Aktivitäten eingestellt.
Noch interessant zu wissen, die Lepontia S.A. war in personeller und finanzieller Hinsicht mit der Delphinia Società di Navigazione Marittima S.A. Chur identisch, die 1952 in Italien den kleinen Tanker BERNA bauen liess, aber dem offensichtlich das Recht zur Führung der Schweizer Flagge verweigert wurde. Dieser Tanker fuhr dann als BERNA unter der Flagge von Panama bis zu seiner Verschrottung 1975 im spanischen Gandia.
Stapellauf von M/T BERNA mit Schweizer Flagge und Basilea als Heimathafen am 24.07.1952 in Monfalcone
SwissShips, HPS, Juli 2015