Schweizer R E V U E 2/1999
Schweizer
Handelsschiffe auf ruhiger Fahrt
Interview mit Jean Hulliger, Direktor des Schweizerischen Seeschifffahrtsamts
Alice Baumann
Kaum jemand weiss, dass unser Land zur See fährt. Hüten Sie ein Geheimnis?
Unser Blick ist eben durch die Berge verstellt... Im Ernst: In maritimen Zirkeln ist bekannt, dass in Basel und der Westschweiz fünf grosse Schweizer Reedereien sitzen. Ihre knapp zwei Dutzend Schiffe befördern eine Gesamttonnage von 800'000 Tonnen (800'000 dwt). An den selben Standorten befinden sich internationale Schiffsmanagement-Gesellschaften, die Schiffe unter verschiedenen Flaggen fahren lassen. Voraussetzung für die Schweizer Registrierung ist der rote Pass des Schiffeigners.
Welchen Sinn macht es für die Schweiz, eine Flotte zu unterhalten?
Nicht mehr nur den, unser Land mit lebenswichtigen Gütern zu versorgen. Heute gilt unser Land als sicherer Standort für Schiffsmanagement-Gesellschaften. Pointiert ausgedrückt, sind wir nicht nur Unternehmer, sondern auch Anbieter von Dienstleistungen. Unsere Aktivitäten sind sowohl in Friedens- als auch in Kriegszeiten wichtig.
Also ist die Schweizer Hochseeschifffahrt heute aus wirtschaftspolitischer Sicht wichtig?
Ja, denn zu den Qualitäten, die wir einheimischen wie ausländischen Reedereien anbieten, gehören Gesetzgebung, Finanzierung (früher gab der Bund Darlehen, heute bürgt er den Banken gegenüber) und Telekommunikation. Auch ist die Sozialpartnerschaft zwischen Reedern und Gewerkschaften ideal. So viel ich weiss, hat es noch nie eine Meuterei gegeben auf einem Schweizer Schiff, obwohl die sogenannte Heuer (der Lohn) tief ist:
Wieviel kostet uns die Schweizer Hochseeflotte?
Keinen Rappen. Die Reedereien sind selbständig. Sie profitieren nicht von staatlichen Subventionen, sondern von idealen Rahmenbedingen; unsere Gesetzgebung ist sehr liberal. Dies unterscheidet unsere Flotte von fast allen Flotten dieser Welt.
Welche Waren werden unter Schweizer Flagge transportiert?
Alle Güter ausser Öl und Waffen. Es verkehren also Tanker mit Wein oder Chemikalien und Container voller Weizen oder Bananen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir Schweizer Oltanker zulassen, allerdings nur unter strengsten Auflagen. Grundsätzlich kann man alles verschiffen ausser Artikel, die von der schnellen Zustellung leben wie Zeitungen, Medikamente und Blumen. Im Golfkrieg wurden Schweizer Reedereien angefragt, ob sie bereit wären, die US-Basen im Golf mit Frischwasser zu versorgen.
Wo werden die Frachten gelöscht?
Überall. Schweizer Schiffe fahren grundsätzlich keine fixen Linien, sondern peilen ihre Häfen den Aufträgen entsprechend an.
Dürfen auch Passagiere mitreisen?
Nur vereinzelt. Auf grossen Schiffen sind bis zu zwölf Gäste zugelassen. Eigentliche Passagierschiffe mit Schweizer Flagge gibt es auf den Ozeanen nicht.
Weshalb gehört Ihr Amt zum Eidg. Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA)?
Für ein klassisches Binnenland wie die Schweiz ist die internationale Seeschifffahrt ein Verkehrsträger, der nicht mit Strasse, Schiene und Luftverkehr gleichgesetzt werden kann. Unsere diplomatischen und konsularischen Aussenvertretungen wirken als verlängerter Arm des Schifffahrtsamtes; sie engagieren sich bei der Überwachung der Schweizer Schiffe und ihrer Besatzungen. Unser Amt setzt sich mit Völkerrecht und Sicherheitspolitik auseinander. Seine Eingliederung ins EDA hat sich daher bewährt.
Unsere Hochseeflotte hat einen guten Ruf. Sind wir besser statt billiger?
Ich sage nicht: Wir sind die Besten. Tatsache ist aber, dass Schweizer Reeder ihr Metier kennen. Viele trugen selber die Kapitänsmütze, bevor sie ins Topmanagement aufstiegen. Und die Schweiz ist schliesslich ein typisches Dienstleistungsland
Der Verdrängungskampf auf dem Meer ist erbarmungslos. Ihre Analyse?
Es sind zu viele Schiffe und zu wenig Frachten unterwegs. Gewisse Länder unterhalten aus Prestigegründen eine Flotte. Ihre massiven Subventionen verfälschen den Wettbewerb. Die Schweiz setzt sich für eine Kürzung dieser Gelder ein. Fairerweise muss man allerdings zugeben, dass die Konkurrenz aufgeholt hat.
Warum kann sich unsere Hochseeflotte trotzdem halten?
Sie geniesst nach wie vor hohes Vertrauen. Ich kenne amerikanische Firmen, die ihre Waren ausschliesslich unter Schweizer Flagge schippern lassen.
Wird das Flugzeug das Schiff als Transportmittel ersetzen?
In keiner Weise. Dazu ist der Luftraum zu überlastet. Ausserdem besteht der Globus zu zwei Dritteln aus Wasser. Ein grosser Teil unserer Ein- und Ausfuhren erfolgt über die Weltmeere. 90 Prozent aller Güter gelangen auf dem Wasserweg an ihr Ziel. Jetzt, da der Ausbau von Bahn und Strasse an seine Grenzen stösst, gewinnt auch die Rheinschiffahrt an Bedeutung. Man soll die verschiedenen Transportwege nicht gegeneinander ausspielen, sondern als Ergänzung betrachten.
Welche Nationalitäten arbeiten auf den Schiffen?
Hauptsächlich Kroaten und Philippiner. Sie gelten weltweit als die besten Seeleute. Der Seemannsberuf liegt ihnen offensichtlich im Blut. Weniger als zehn Prozent sind Schweizer.
Wie wird man Seefahrer auf einem Schweizer Meerschiff?
Um Kapitän zu werden, muss ein Schweizer in Grossbritannien, Deutschland oder Italien die Ausbildung zum Seeoffizier durchlaufen, Maschineningenieure können im Ausland einen maritimen Zusatzlehrgang absolvieren. Und künftige Matrosen werden nach abgeschlossener Berufslehre von einer Schweizer Reederei ausgebildet
Sind auch Frauen zugelassen?
Natürlich können Frauen eine maritime Laufbahn einschlagen. Es gibt ja auch Luftkapitäninnen. Mir ist allerdings bis jetzt nur eine Frau bekannt, die als Schiffsoffizierin auf einem Schiff mit Schweizer Flagge fuhr.
Immer wieder liest man von Piraterie in Südostasien: Gefährdet diese auch Schweizer Schiffe?
Die Piraterie ist eher zurückgegangen, aber die Waffen sind brutaler geworden. In Einzelfällen sind ganze Besatzungen umgebracht worden. Gott sei Dank sind Schweizer Schiffe bis heute verschont geblieben.
Wird die Schweiz auch im nächsten Jahrtausend zur See fahren?
Garantiert! Wenn Sie daran zweifeln, können Sie ebenso gut fragen, ob die Schweiz dann noch existiert.
Interview: Alice Baumann
Jean Hulliger
ist Direktor des Schweizerischen Schifffahrtsamtes. Es gehört zum Eid. Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA). Weil der Rhein die Nabelschnur der Schweiz zum Meer ist, hat das Amt seinen Sitz in Basel. |