Bericht über den Untergang der S/S MALOJA vom Überlebenden Albert H. Vogel
Das Ende der S/S „MALOJA“ am 7. September 1943 Gemalt von Rudolf Schori, er selber ist dann bei einem tragischen Unfall im Hafen von New York durch einen Sturz in den Laderaum auf dem Dampfer LUGANO, ums Leben gekommen. Noch keine 18 Jahre alt Die MALOJA lud in Lissabon Kopra in Säcken und Kopraöl in Fässer. Am 1. September 1943 laufen wir Kurs Genua aus. Am Nachmittag des 07. September bin ich mit den beiden portugiesischen Matrosen Eduardo da Paz und João Lino auf dem Vorkastell beschäftigt. Die beiden schmieren die Springdrähte, die morgen in Genua gebraucht werden und ich mache das Schanzkleid oben schwarz. Es ist kurz nach 8 Glas am Nachmittag, beide Offiziere sind von der Wachablösung her noch auf der Brücke und der Kapitän hat sich zu ihnen gesellt. Der Kapitän ruft etwas und zeigt nach Steuerbord. Dort sind über einige Striche querab die Bergkuppen von Korsika zu erkennen. Das Meer ist absolut ruhig, kein Wind, die Sicht sehr gut. Wir sehen zehn Flugzeuge, die zwischen Korsika und uns nach Süden streben, plötzlich den Kurs ändern und auf uns zufliegen. Sie bilden drei Dreierformationen, die nebeneinander fliegen. ganz links ist eine einzelne Maschine. Die Dreierformationen ziehen sich nach Süden auseinander. Wir starren verwundert auf diese Flugschau. Die Maschine ganz links wird bald über uns sein und dann wird man die Hoheitsabzeichen erkennen können. Da erscheinen plötzlich achterlicher dann dwars weisse Pilze im Wasser, die in das Schiff hinein wandern. Wir drei realisieren wohl alle gleichzeitig was da geschieht und werfen uns auf das Deck. Ich drücke mich ganz an die Verschanzung, obwohl diese bei einem Angriff von hinten keinen Schutz bietet. Die beiden Matrosen liegen einer an jeder Seite des Ankerspills. Jetzt hört man das Hämmern der Bordwaffen und das Auftreffen der Geschosse im Schiff. Es knallt, wie wenn auch Explosivgeschosse benutzt würden. Es herrscht ein Höllenlärm, als drei Maschinen von Steuerbord fächerförmig nach rückwärts gestaffelt angreifen und die Maschine, die ganz links war, knapp über Masthöhe quer über uns hinweg donnert. Plötzlich Feuerpause! Dann ein dumpfes Whuumm, ich werde körperlich angehoben und falle wieder auf Deck zurück. Ein Schlag an meiner linken Schulter schmerzt heiss. Dann setzt von achtern erneut das Getöse der Abschüsse und Einschläge ein und wieder fliegen eine oder zwei Maschinen über uns hinweg, aber diesmal stets mehr von Backbord. Dann Ruhe, die Maschinen scheinen nach Westen, in die Sonne, wegzufliegen. Ich erhebe mich etwas mühsam. Da Paz ist nicht mehr zu sehen. Das Vorkastell ist mit Dellen und Splittern übersäht. Das Ankerspill muss mich geschützt haben. Der Vormast und die Brücke sind nicht mehr zu sehen! Eine dicke, schwarze Rauchwolke verdeckt alles. Auch Lino, der an Backbord des Ankerspills gelegen hat, starrt die Rauchwand an. Sind wir etwa allein mit der Bugpartie im Mittelmeer unterwegs? Blödsinn, ein Bug allein kann nicht schwimmen. Lino dreht sich zu mir um und sagt auf portugiesisch: «Ins Meer, über Bord!» Ich rufe: «Nein, warte!» aber er läuft zur Reling, steigt darüber und springt. Er wurde nie mehr gesehen. Ich drehe mich um, warum weiss ich nicht, denn von vorne kommt bestimmt keine Hilfe. Als ich einen schnellen Blick auf und über die Verschanzung werfe, sehe ich diese mehrfach durchlöchert und davor im Wasser eine Blasenspur, die schnurgerade vor unserem Bug durchgeht. Jetzt ist klar, eine Garbe ging knapp über mir durch und wir wurden torpediert. Es wurden zwei Torpedos lanciert, wovon das eine vor dem Ziel durchlief und das andere in Raum eins oder zwei explodierte. Konnte ein zweimotoriges Flugzeug zwei Torpedos tragen oder hat etwa auch die zweite Maschine von links noch ein Torpedo abgeworfen oder war es nur ein Torpedo und das, was uns traf, eine Bombe? Ich weiss es nicht, es ist in diesem Moment auch ziemlich nebensächlich, ich muss handeln. Torpedotreffer an Steuerbord, also an Backbord nach achtern laufen! Es ist schwierig, weil die Fässer voll verspritztem Kopraöl sind und man etwa querab vom Vormast vor lauter Rauch kaum die Füsse sehen kann. Die Rauchwand ist schnell durchstossen und dann sehe ich die Mittschiffs-Aufbauten mit der Brücke. Überall Löcher, zersplittertes Holz, Fensterglas, der Kamin durchlöchert wie eine Bircherraffel. Das Schiff hat schon leicht Schlagseite nach Steuerbord. Im Mittelschiff, an Backbord, sehe ich den Chief-Mate in seiner Kabine verschwinden. Ich laufe zur achteren Seite der Mittschiffs-Aufbauten. An Steuerbord treibt das Rettungsboot vollbesetzt nach achtern. Der Kapitän steht an der Pinne und winkt mir zu. Im Boot scheint der Teufel los zu sein, es wird geschrien und, so mein Eindruck, laut gebetet. Da ist mir klar, dass ich eventuell lange schwimmen muss, bevor mich diese Schreihälse an Bord nehmen würden. Also laufe ich weiter nach achtern. Unten an der Niedergang-Treppe liegt ein nackter Mann mit einem Handtuch. Er hat, deutlich erkennbar einen Einschuss im Körper. Ich springe über ihn weg und sehe, dass es der Matrose Francisco Duarte ist. Gleichzeitig sehe ich einen Trimmer aus dem Heizerlogis kommen. Ich laufe zu meiner Koje, reisse die Schwimmweste an mich und greife meine Brieftasche unter dem Kissen. Diese stopfe ich hinter den Hosenbund und ziehe im Laufen meine Schwimmweste an. Wieder an Deck bemerke ich, dass am Backbord-Rettungsboot der 1. Maschinist, der Chief-Mate und der Trimmer von vorhin tätig sind. Als ich dazu stosse, haben sie die Verzurrung schon losgeschlagen, können aber das Boot nicht zu Wasser lassen. Der Chief-Engineer zeigt auf den vorderen Block. Der ist durch Beschuss beschädigt und das Falltau kann nicht durchlaufen. Ich ziehe mein Messer, setze erst die Säge an und dann die Schneide. Das Boot saust plötzlich Bug voran unter Wasser, schrabbt aber auf der Bordwand, weil das Schiff schon viel Schlagseite hat. Die Fangleine ist durchgeschossen und baumelt herum. Das achterliche Fall hatten sie schon gelöst und der rauscht jetzt durch seine beiden Blöcke. Der Trimmer kann das Falltau blitzschnell an der Davitsklampe abstoppen und belegen. Das Boot schwoit, weil der vordere Fall ausgerauscht ist. Der Trimmer springt weit ins Leere und hängt sich an den Fall, dann der Chief-Engineer, dann der Chief-Mate, dann ich. Wir rutschen alle am achteren Fall ins Boot. MALOJA hat immer noch Fahrt, weil, wie mir der Erste Maschinist später erzählt, die Regelvorrichtung wegen Beschussschäden und Verschiebungen durch die Explosion nicht mehr bewegt werden konnte. Der Fall war am Davit oben belegt, wie den Haken aushängen? Wir versuchen zu dritt, das Boot gegen die Strömung vorzuziehen, aber es geht nicht. Die Zeit drängt, MALOJA trimmt auf den Bug und krängt immer mehr nach Steuerbord, die Schraube kommt schon aus dem Wasser und das bei geladenem Schiff! Der Trimmer musste schon an Deck gefahren haben, Bootsmanöver scheinen ihm nichts Neues. Vermutlich war er, wie praktisch alle portugiesischen Handelsmariner, schon zum Kabeljaufang zu den Neufundland-Bänken gefahren und war mit Dories vertraut. Jedenfalls hat er, während wir anderen drei uns vergeblich mühten, das Painterbeil geholt und das Falltau am Block entzweigeschlagen. Das Rettungsboot treibt praktisch unter Wasser dem Schiff entlang nach achtern. Und so naht das nächste Unheil. Die gut zur Hälfte über Wasser ragende und noch stets drehende Schraube wird unweigerlich das Boot erfassen! Der Chief-Engineer befiehlt laut: «Overboard!» Wir springen, nur der Chief-Mate nicht, er kann nicht schwimmen! Ich frage ihn später, warum er ohne Schwimmweste aus der Kabine gekommen sei und er meinte, er hätte seine Uniformjacke angezogen, sein Gold eingesteckt und dabei die Schwimmweste vergessen. Wer – ausser den Schweizern und Portugiesen – damals unter Schweizerflagge zur See fuhr, legte sein Geld in Gold an, das in Portugal in Ketten zu 22 Karat erhältlich war (für die Fischerfrauen, die Analphabetinnen waren und der Bank nicht trauten); man hatte schliesslich keine Ahnung, was mit den verschiedenen Währungen nach dem Krieg passieren würde! Da schien Gold das sicherste! Hofmann bleibt also etwas zu lange im Boot, die Schraube erfasste es und schneidet es durch. Hofmann wird ins Wasser geschleudert, aber nicht bevor ihm noch ein ca. 30 cm langer Holzsplitter in einer Wade stecken blieb. Wir drei schwimmen so schnell wir können vom Schiff weg, Bootsteile fliegen herum, Kopf schützen! Der Rest des Rettungsbootes ist zurück ins Wasser gefallen und hat sich wieder zwischen zwei Propellerflügel geschoben, wird ein zweites Mal angehoben und Teile davon abgeschnitten. Mit den ersten Teilen treiben wir im Wasser und halten uns daran, als «Help!» gerufen wird. Es ist der 1. Steuermann. Der 1. Maschinist schaut uns durch die Trümmer an, schüttelt den Kopf und sagt: «Too dangerous!» Ich überlege, ob ich es tatsächlich fertigbringe, den Kerl einfach ersaufen zu lassen. Ich schwimme auf ihn zu und zwar entgegen höherem Befehl oder doch mindestens entgegen der klaren Äusserung eines erfahrenen Seemanns. Die MALOJA krängt immer mehr und die Schraube ist jetzt schon ganz aus dem Wasser. Er klammert sich an mich, aber das habe ich ja auf dem Schulschiff gelernt: Von hinten packen, wenn nötig erneut untertauchen. Es ist nötig. Er prustet, wird manierlicher und fragt ängstlich-verwundert: «Ken zij swemme?». Trotz der reichlich kritischen Situation muss ich lachen und beruhige ihn. Ich schwimme auf dem Rücken zu den Resten des Bootes und ziehe ihn mit meinen Händen unter seinen Achseln hinter mir her. Die elegante Art im Schwimmunterricht, die Hände gefaltet unter seinem Kinn, geht nicht. Er wehrt sich, spuckt und glaubt zu ersticken. In diesem Moment hebt die MALOJA das Heck an, legt sich ganz auf Steuerbord und rauscht senkrecht in die Tiefe. Die Schweizerflagge verschwindet ganz zum Schluss. Dann rumst es! Eine Druckwelle sprudelt Wasser und Blasen, das Steuerhausdach mit seiner Holzreeling und der Peilantenne taucht auf und schaukelt weiss und friedlich auf der ruhigen See. In kurzer Zeit schwimmen wir in einer dicken, grünen Öllache, die scheusslich nach Kopra stinkt. Die beiden anderen helfen mir, Hofmann mit den Armen auf einen losen Luftkanister zu legen. Das Rettungsboot fährt langsam hin und her, gelegentlich bückt sich jemand Aussenbords und liest etwas auf. Dann bringen sie uns ein Floss, alles unter dauerndem, lautem Lamentieren und Beten. Einige Leute aus dem Boot steigen auf das Floss um und helfen uns von oben, Hofmann auf das Floss zu hieven. Wir klettern ebenfalls an Bord, was ohne gegenseitige Hilfe nicht möglich ist. Ein Punkt, den die Survival-Fachleute noch studieren sollten! An verschiedenen Orten verspüre ich plötzlich Schmerzen und sehe nach. Der linke, innere Fussknöchel blutet und ist geschwollen. Hinter dem linken Knie steckt ein Splitter. Ich ziehe ihn heraus, weil er sonst beim Sitzen weiter hineingedrückt würde. Die linke Schulter ist geschwollen und blutet. Ich habe so ziemlich überall Abschürfungen die zum Teil bluten und brennen, aber das ist mir recht, Salzwasser desinfiziert! Das Boot hat auch das zweite Floss geholt, wir machen mit einer Wurfleine fest und Leute aus dem Boot steigen auf das Floss um. Jetzt sind nur noch der Kapitän, der 2. Maschinist, der Bootsmann, ein Matrose und liegend, Koch Häggi im Boot. Häggi hat vermutlich eine schwere Verletzung am Bein und blutet auch am Arm. Der 2. Maschinist, Jens Hansen, ein Däne, und der Bootsmann arbeiten fieberhaft, schlagen Lattenverschläge vor den Luftkanistern weg, reissen diese heraus und werfen sie über Bord. Dann verlangen sie Kleidungsstücke, zerreissen sie, stopfen die Streifen in die Schusslöcher der Klinkerbeplankung und nageln Teile der Holzlatten darüber. Ein Beutel mit Werkzeug gehört zur Bootsausrüstung. Der Matrose findet ein Geschoss und zeigt es dem 2. Maschinisten. Dieser befiehlt ihm, das Ding augenblicklich über Bord zu werfen. Später gibt er zu Protokoll, dass das Geschoss ein Kaliber zwischen 17 und 20 mm hatte und er Angst gehabt habe, es könne explodieren. Schliesslich schmeissen sie den Mast über Bord, trennen das Lateinsegel von seiner Stenge und werfen auch diese zusammen, mit dem Steuerriemen über Bord. Sechs Riemen bleiben an Bord. Die Platzverhältnisse an Bord eines Rettungsbootes sind prekär. Wenn ein Boot mit 28 Personen angeschrieben ist, bedeutet das, dass das Boot 28 Personen mit ausreichendem Freibord tragen kann, aber diese 28 Personen sitzen eng gedrängt auf den Duckten und den Gangborden, so dass rudern oder sonst eine Tätigkeit schwierig ist. Da wir nur noch 20 Mann sind, wäre eine vernünftige Sitzverteilung möglich, aber zwei müssen liegen. Unser Floss wird zum Rettungsboot geholt, es liegt laufend tiefer im Wasser. Wir befördern Hofmann auf ein Gangbord, Häggi liegt gegenüber auf dem andern. In diesem Moment säuft unser Floss ab, weil die Schwimmkörper (Ölfässer) durchschossen sind. Die Survival-Erkenntnisse waren schon 1941 soweit gediehen, dass man die Schwimmkörper mit Korkstückchen füllte, um trotz Einschössen Auftrieb zu bewahren. Aber bei uns hatte man anscheinend geschlafen. Ich liege erneut im Wasser, lege mir dadurch eine neue Schicht Kopraöl auf und klettere mit Hilfe des Chief-Engineer auf das andere Floss. Jetzt wird das Boot mit Leuten von diesem Floss besetzt und zwar so, dass Hofmann und Häggi auf den Gangborden ausgespart werden. Die Duchten beim Mast werden mit Ruderern besetzt. Je zwei Mann ziehen an Riemen 3 und 4, während je ein dritter von der hinteren Duckt aus stösst. Die Riemen 1 und 2 werden von je zwei Mann gezogen. Auch wir steigen um und das Floss wird los gemacht. Es ist jetzt etwa 17.30 Uhr. Der Kapitän steht auf und versucht sich in einer Mischung aus Lagebericht, Analyse und Sofortmassnahmen: «Unser Schiff ist um 16.15 von Flugzeugen versenkt worden. Hat jemand gesehen was für Flugzeuge es waren?» Kopfschütteln. «Also unbekannt. Wie viele Motoren hatten sie?» Vereinzeltes Murmeln «Vier». Ich protestiere: «Die Maschine ganz links war zweimotorig, die anderen habe ich nicht gut gesehen!» «Also eine war zweimotorig, die anderen neun viermotorig. Drei Mann fehlen, hat sie jemand gesehen?» Ich gebe meine Wahrnehmungen zum Besten. Mehrere haben Duarte am Fuss des Niedergangs gesehen. Der Kapitän fasst zusammen: «Wir haben drei Tote, zwei Schwerverletzte und drei Verwundete. Da drüben liegt Korsika. Die Bergspitzen kann man vom Boot aus gerade noch sehen. Wir werden die rund 25 Meilen dahin rudern. Der Kurs ist Ostsüdost und der Bootskompass schon aufgestellt. Wir können nur hoffen, dass kein Wind aufkommt, die Leck Sicherungen würden dem Druck nicht standhalten, segeln kommt also nicht in Frage. Wir haben alles über Bord geworfen, was bis Korsika nicht gebraucht wird. Der Bootsmann ändert den Treibanker so ab, dass ein Schöpfeimer entsteht, das Ösfass und der Eimer werden ebenfalls bemannt. Sobald das Wasser im Boot zu hochsteigt, lenzen wir damit möglichst rasch!» Dann hebt er den Arm hoch und zeigt eine braune Brieftasche, sie sei im Wasser getrieben. Ich greife unwillkürlich an meinen Hosenbund: Meine Brieftasche fehlt! Er schaut hinein, sieht meine Immatrikulationskarte vom Konsulat in Lissabon. Ich erhalte meine Brieftasche, sehe auch nach und finde einige Fotos und die Heuerabrechnung vom August, alles feucht und zusammengeklebt. Man darf sich von dieser Zusammenfassung nicht irreführen lassen. Erstens kam der «Lagebericht» nicht so fliessend und zudem wurde Kapitän Baardwijk dauernd von irgendeinem der Portugiesen unterbrochen, der jammernd irgendeine deplazierte Frage stellte. Dann endlich kommt das «Together, heave ho!». Der Kapitän drückt den Tiller zur Seite und wir nehmen Kurs auf Korsika. Nachts wird der Kurs mit Sternen gehalten und von Zeit zu Zeit im Licht von Streichhölzern mit dem Kompass verglichen. Der Kompass hat zwar ein Öllämpchen, aber es ist kein Öl im Reservoir und das Reserve-Ölkännchen ist in der Dunkelheit nicht zu finden! Man müsste alle wasserdicht verschlossenen Ducktkanister aufmachen und in der Dunkelheit alles herausnehmen. Aber wohin damit im Boot mit überspülten Bodenbrettern? Auf korrekt gewarteten Rettungsbooten gibt es dafür Inventarlisten mit den Standorten! Trotz des Lamentierens und Betens kommen wir gut voran und die Rudernden werden alle 20 bis 30 Minuten abgelöst, wenn ohnehin gelenzt werden muss. Etwas muss man den Portugiesen zu Gute halten: Sobald sie mit rudern beschäftigt sind, machen sie ganze Arbeit! Da zeigt sich wahrscheinlich die Übung mit den Dories auf den Virgin Banks. So ab 20 Uhr ist mir trotz der Ölschicht kalt. Ich rudere um warm zu bleiben und halte das durch bis zum nächsten Morgen, als die Sonne aufgeht, also rund acht Stunden. Die linke Schulter ist dick geschwollen. Gegen 6 Uhr sind wir ganz nahe bei Korsika. Wir müssen etwa 2 Kn (knapp 4 km/h) gerudert haben. Damit sind wir zwar keine punische Monoreme, aber die haben dafür des Nachts nicht gefahren und waren auch nicht leck! Der Kapitän will jedem etwas Nahrung geben und öffnet eine Büchse Kondensmilch aus dem Bootsvorrat. Natürlich war sie ungeniessbar! Mit den anderen Büchsen ist es dasselbe. Das Wasser schmeckt faul. Alles reiht sich mit dem fehlenden Öl im Kompasslicht bestens aneinander. Damit gehört eigentlich der 2. Decksoffizier ausgepeitscht oder gekielholt oder was weiss ich. Er ist im Zwei-Wach-System für die Rettungsboote verantwortlich. Tiburcio Alvaro da Silva der Teufel soll dich holen, und das nicht zum letzten Mal! Ich bin erschöpft, habe Schmerzen und vor allem bin ich stinkwütend. Hinter meinem Rücken im Bug, lamentiert schon wieder einer und ruft seiner Maria und dem Jesus. Ich drehe mich um und brülle ihn an auf schweizerdeutsch, er soll seine verdammte «Schnurre» halten. Alle schauen mich verdutzt an und der Chief-Engineer ruft mir zu, ich solle mein Maul halten, es sei nicht an mir mich so zu äussern. Sie haben zwar alle – ausser Häggi und Städeli – absolut nichts verstanden, aber dem Ton nach haben sie schon gemerkt was ich meinte. Ich bin masslos enttäuscht und einer grossen Illusion beraubt. Der Kapitän verhielt sich überhaupt nicht so, wie ich mir einen Kapitän in einer Notsituation vorgestellt hatte. Wo waren jetzt die grossen Sprüche von den untauglichen Schweizern und den fliegenden Holländern? Und jetzt noch diese Zurechtweisung vom Chief-Engineer der sich bisher wie der Chef benommen hatte. Später erfahre ich dann, dass er es nur zu meinem Schutz getan hat. Meine Unbedarftheit den Portugiesen gegenüber war grenzenlos. Aus einer schönen Bucht mit einem grossen Kastell kommt ein Motorboot und schleppt uns ab. Es sind Italiener. Die ca. 40 mm Flak auf dem Molenkopf nimmt uns aufs Korn und traversiert. Die glauben wohl, wir wären eine verkappte Kommandoeinheit? Wenn die das Theater seit der Torpedierung mitgemacht hätten, würden sie sich direkt blöd vorkommen! Wir sind in Calvi, werden auf Camions verladen und ins Lazarett gebracht. Das Lazarett ist in einem Hotel – ich glaube es hiess «Alexander». Ein Sanitäts-Unteroffizier mustert uns, teilt uns Betten zu und nimmt dem Deckpersonal die feststehenden Messer ab. Früher war das wahrscheinlich der Speisesaal, aber jetzt steht ein Hotelbett neben dem andern. Ich ziehe meine noch feuchten und nach Kopraöl stinkenden Hosen und Unterhosen sowie die nassen Schuhe aus, krieche geölt unter das Leintuch und bin gleich weg. A. Vogel |