Keller Shipping AG, Basel bestellte diesen speziell auf die Westafrikafahrt ausgelegten Ro-Ro-Frachter bei der Werft A. Vuijk & Zonen Scheepswerfen BV, Capelle a/d Ijssel in den Niederlanden (heute Royal IHC Merwede). Die Kiellegung erfolgte am 27.04.1977, unter der Baunummer 881. Am 22.12.1977 lief die ANZÈRE von Stapel und wurde am 08.05.1978 von Keller Shipping in Dienst genommen. Die Bauaufsicht wurde von Leuten der Keller Shipping durchgeführt. Der registrierte Eigner war wiederum Compagnie de Navigation Transocéanique Suisse S.A. Genève. Die ANZÈRE, benannt nach einem Walliser Feriendorf oberhalb Sitten, führte die Schweizer Flagge und war in Bâle (Basel) registriert (Offizielle Nr.: 98, Rufzeichen: HBDA). Noch eine kleine Anmerkung, in Capelle gibt es heute auch eine Strasse und kleines Einfamilienhausquartier die Anzere benannt wurden. Die verschiedenen Schifffahrtsmedien erwähnten übereinstimmend einen Neubaupreis von 13'715'658.- US-Dollar.
Die Besatzung bestand wie üblich hauptsächlich aus Italienern und Jugoslawen, sowie einigen Schweizern. Der Schweizer Kapitän Charles Beck führte das Schiff jahrelang, auch im Maschinendepartement amtete lange Zeit der Schweizer Walter Häberling als Chief Engineer. Das Schiff bediente wiederum die Nautilus-Line von Italien und Frankreich nach Westafrika, allerdings lag der Endpunkt der Reise vermutlich bei Douala, Kamerun.
Der Ro-Ro-Frachter besass eine auf beide Seiten um 38° schwenkbare, aus zwei Teilrampen bestehende Heckrampe, die somit viele Einsatzmöglichkeiten, speziell in den Westafrikanischen Häfen erlaubte. Der Frachter konnte mit der steuerbord oder mit der backbord Seite anlegen und die relativ hochgelegene Rampe konnte auch kleinere Hindernisse, wie Eisenbahngeleise oder eine kleine Mauer überwinden. Zwei Fahrzeuglifte ermöglichten vom Hauptdeck auf das Oberdeck (Backbordlift) oder auf das Unterdeck (Steuerbordlift) zu gelangen. Steckdosen für Kühlcontainer waren auch vorhanden. Es waren auch einige Passagierkabinen vorhanden.
Die ANZÈRE war mit eigenen Mafi Trailern und Zugfahrzeugen (MAFI Transport-Systeme GmbH, Tauberbischofsheim, Deutschland), sowie Containern ausgerüstet. Zu jener Zeit gab es in Afrika noch keine Container-Kräne und mit den Trailern und Zugfahrzeugen (Trucks) konnten die Container auf den Trailern im ganzen Hafen verschoben werden. Die Trailers wurden mit dem Container beladen, oft auch mit Stückgut und der Trailer an Bord gezogen und dort mit seiner Ladung abgestellt und gelascht. Da das Laden und Entladen der Trailer jetzt unabhängig von statten ging, konnte das Schiff weiterfahren und die Trailer konnten bei der nächsten Ankunft des Schiffes wieder an Bord genommen werden, idealerweise mit neuer Ladung. Das Schiff besass 2 oder 3 Zugmaschinen, die von der Schiffscrew gefahren und auch gewartet wurden.
Ein MAFI-Trailer mit Truck. Das Bild links zeigt einen Trailer, beladen mit vier Tanks. Rechts ein leerer Trailer, auf der ANZÈRE hatten diese zusätzlich einen Boden aus 6 cm dicken Holzbohlen um Stückgut zu laden
Quelle: MAFI Transport-Systeme GmbH, Tauberbischofsheim, Deutschland www.mafi.de Vertretung Schweiz: Klingler Fahrzeugtechnik AG, 6370 Stans www.klingler-ag.ch
Der Antrieb erfolgte durch zwei, in Polen unter Lizenz gebauten 4-takt Hauptmaschinen von Gebr. Sulzer AG, Winterthur, Typ: 8ZL40/48 über Reduktionsgetriebe auf zwei Verstell Propeller von Lips. Ein spezielles Merkmal dieser Maschinen waren die Drehkolben, mit jedem Hub drehte sich der Kolben dank eines Ratschen Mechanismus um einige Grade. Ein Bugstrahler war auch eingebaut. Auf der ANZÈRE führte Gebr. Sulzer AG Langzeit-Versuche mit neuen Komponenten durch, wie Zylinderlaufbuchsen, Kolben und Kolbenringe, Ventile, Lager etc. somit auch ein gutes Geschäft für die Reederei.
In 1991 verkaufte Keller Shipping die ANZÈRE an die Norweger und übergab das Schiff am 10.10.1991 nach einem kurzen „Take-over“ Dock in Genua. Die neue Eigner Firma hiess Tidero AS, Oslo und wurde vom ehemaligen Kapitän Rolf Tiedemann geführt. Das Schiff wurde in TIDERO STAR umbenannt. Das technische Management machte Acomarit S.A. Genf und das kommerzielle Management lag bei Trollship S.A. auch in Genf. Troll Ship war die Brokerfirma des Norwegers Jan Rasmussen und Alain Briere und beschäftigte sich mit dem An- und Verkauf, sowie Chartering von Schiffen, hauptsächlich Ro-Ro-Schiffe. Die TIDERO STAR fuhr unter der norwegischen Flagge (NIS-Register) und war in Oslo beheimatet. Offizielle Nr.: N-01130. Rufzeichen: LAMY4.
Die Besatzung stammte grösstenteils aus Italien, Kroatien und Slowenien. Die Fähre wurde hauptsächlich von verschiedenen Charterern, wie P&O Ferrymasters, Fred Olsen, Northsea Ferries etc. in der Nordsee eingesetzt, verkehrte aber auch zeitweise in der Ostsee. In 1994 machte die TIDERO STAR einen Abstecher von ein paar Monaten nach dem Fernen Osten, sie brachte alte Baumaschinen (Caterpillars) von Japan nach China, ein Knochenjob für Crew und Schiff, aber sehr einträglich für den Eigner. Nach einer Dockung in Singapur ging sie in Ballast zurück nach Irland.
Während einer Werftzeit wurde die TIDERO STAR am 31.10.2000 aus dem norwegischen Register gestrichen und am 07.11.2000 im portugiesischen Madeira-Register eingetragen. Nun führte das Schiff die portugiesische Flagge und der Heimathafen war Madeira (Rufzeichen: CQUH). Neu vermessen mit BRZ: 9’698, NRZ: 2’909.
Am 17.12.2001 verkauft an Vilja A/S (c/o Nordea Bank Norge ASA) Arendal (Management: C.H. Sørensen Management A/S, Arendal). Die Übergabe des Schiffes erfolgte am 20.01.2002 in Izola, Slowenien. Umbenannt in VILJA und wieder unter norwegischer Flagge eingetragen (18.12.01) (Heimathafen Arendal, Rufzeichen: LATS5). Im Januar - 16. Januar 2004 in Rønne wegen Sicherheitsmängeln arrestiert.
Am 08.10.2004 verkauft an Homer Maritime Corp., Panama (Morgan y Morgan, Panama). Das Management verblieb jedoch in Norwegen und oblag jetzt der Goliat Shipping A/S, Oslo. Die Fähre behielt die norwegische Flagge, wurde aber umbenannt auf TOLOSA und 6 Tage später in Oslo registriert. Am 02.09.2005 wechselte das Management in Oslo den Eigner zu Lecco Maritime Corp. Panama. Name, Flagge und Heimathafen des Schiffes änderten nicht.
Am 15.08.2006 Ankauf durch Glory Marine SA, Monrovia (Management: Aegean Cargo Management SA, Piraeus) und registriert in Kingstown, unter der Flagge von St. Vincent & The Grenadines. Umbenannt in AEGEAN GLORY (Offizielle Nr.: 10220, Rufzeichen: J8B3747). Nun wurde die Fähre im östlichen Mittelmeer eingesetzt.
Im Jahr 2011 in Izmir arrestiert, dann im November 2011 in Salamis aufgelegt. 2012 zum Abbruch an die Firma Hisar Gemi Sokum AS in der Türkei verkauft, die alte Fähre wurde nach Aliaga (bei Izmir) geschleppt das sie am 11.06.2012 erreichte um auf den Strand gesetzt zu werden.
SwissShips HPS, MB, Mai 2021
Quellen:
Zusätzliche Informationen und Geschichten
Die Sulzer Maschinen
Bruno O. Eckert der seine berufliche Karriere zum grossen Teil in der Dieselabteilung bei Gebrüder Sulzer AG in Winterthur verbrachte, hat uns den folgenden Artikel zugesandt:
Dank den guten Kontakten zum Patron Charles Keller (Sen), zu den Inspektoren und Chief Engineers an Bord standen die beiden Hauptmotoren Sulzer-Zgoda, Typ: 8ZL40 mit 5800 PSe (530 U/min) und die beiden Dieselgeneratoren, Sulzer, Typ: 5AL25 der ANZÈRE der Sulzer Dieselabteilung für Langzeittests mit neuen Komponenten zur Verfügung. Somit konnten neue Technologien inklusive der Fertigung von Zylindereinsätzen, Drehkolben und Kolbenringe, Ein- und Auslassventile sowie deren Drehvorrichtungen, Haupt- und Schubstangenlager und weitere Komponenten im Dauertest unter aktuellen Betriebsbedingungen an Bord getestet werden. Im Jahr 1978, zur Zeit der Inbetriebsetzung der ANZÈRE waren bereits über 300 Motoren des Typ Z40 bestellt oder im Betrieb.
Ein 6-Zylinder, zwei-takt, 6Z40 Reihenmotor, älterer Bauart, nicht ganz identisch mit den Maschinen der ANZÈRE (Quelle: GS-Archiv)
Der im Jahr 1970 eingeführte Z40 war der erste moderne, mittelschnelllaufende Viertaktakt-Motor von Gebr. Sulzer AG, Winterthur. Mit einer Bohrung von 400 mm und einem Hub von 480 mm, sowie bohrungsgekühlten Komponenten um den Verbrennungsraum war der Z40 für den Schwerölbetrieb ausgelegt. Preislich günstiges Schweröl (HFO, Heavy Fuel Oil) mit einer Viskosität von 380cSt/50°C / 3500secs RW1 konnte benützt werden, dabei erzeugte die Maschine eine Leistung von bis zu 750 PSe/550kW pro Zylinder bei 560-600 U/min. Der Motor wurde als Reihenmotor (in-line) und als V-Motor mit 6 bis 16 Zylindern angeboten. Nicht umsteuerbare und umsteuerbare Versionen für den Schiffsbetrieb waren erhältlich, zuerst mit elektronisch-pneumatischer und dann einige Jahre später, wie auf der ANZÈRE mit elektrisch-pneumatischer Steuerung*). Im September 1973 fand die erste Inbetriebsetzung statt, mit einem Sulzer-Zgoda 6ZL40 Hauptmotor. Im Jahr 1999 standen 901 Motoren vom Typ Z40 mit total 6‘577‘350 PSe im Betrieb. Nach einer Zwischenversion vom Typ ZA40 erfolgte in 1985 die Einführung einer Langhubversion, den ZA40S mit einem Hub von 560 mm für Schwerölbetrieb bis zu 460cSt/50°C / 4500secs RW1 und mit einer Leistung bis zu 980 PSe/720kW bei 510 bis 514 U/min pro Zylinder. Im Jahr 2007 waren 894 Motoren vom Typ ZA40S in L- und V-Versionen von 6 bis 18 Zylindern abgeliefert und im Betrieb mit total 11‘023‘760 PSe.
Querschnitt-Zeichnung eines ZL40/48 Motors (Quelle: HLM Hertli AG, Elgg / Schweiz)
Drehkolben mit dem Ratschen Mechanismus (Quelle: GS-Archiv)
Die Grundlagenforschung für einen modernen mittelschnelllaufenden Dieselmotor mit Puls- Turboaufladung und Drehkolben fanden bei Gebrüder Sulzer, Winterthur ab 1955 an zwei UV32 Motoren mit Bohrung 320 mm, je einer in Zwei- und Viertaktversion unter der Leitung von Prof. Dr. Holfelder im Prüfstand „Dreispitz“ statt (neben dem Kesselhaus auf dem Werkgelände neben dem Hauptbahnhof Winterthur). Dann folgten bei Gebr. Sulzer die Testmotoren, in 1964 der Zweitakt-Motor 12ZV30 mit 4000 PSe, in 1966 der Zweitakt-Motor 6ZH40 mit 3600 PSe, in 1977 der Viertakt-Motor 8ZL40 mit 5800 PSe im Jahr 1984 der Viertakt-Motor 8ZA40S mit 7840 PSe und zuletzt 1996 der Viertakt-Motor 6ZAL50S mit 9780 PSe/7200 kW.
Wer mehr über alte Dieselmotoren erfahren möchte, verweisen wir auf den Verein VDMW, Verein Diesel Motoren Winterthur (Dieselgeschichten) insbesondere auf die zwei Geschichten#38 „Sulzer Dieselmotoren und Sulzer Dieselabteilung“ und #45 „Aktivitäten von Prof Dr. Otto Holfelder im Motorenbau bei Gebr. Sulzer von 1952-1961“.
*) Der Satz ist richtig, von der elektronischen Steuerung wurde einige Jahre später auf die einfache zu handhabende elektrische Steuerung umgestellt.
Zwei Aufnahmen vom Kreuzfahrtschiff CELESTYAL OLYMPIA ex-SONG OF AMERICA, die mit 4 Motoren des gleichen Typs 8ZL40/48 ausgestattet ist, wie auf der ANZÈRE. Oben die beiden STB-Motoren und unten die äussere STB-Maschine. Ähnlich eng sind auch hier die Platzverhältnisse im Maschinenraum. Die Zylinder Nummern wurden bei Sulzer von vorne nach hinten, zum Schwungrad hin, gezählt
(Fotos: Rolf Sturm, HLM Hertli AG, Elgg / Schweiz)
SwissShips, HPS im Mai 2021