Winterreise Basel - Rotterdam - Basel in 97 Tagen 1962/63
Manuskript: Heiri Hüsler verfasst 2019
Die Reisen Basel - Seehafen - Basel dauerten vor allem im Winter länger als normal, oft sogar sehr viel länger. Die Natur machte den Schiffern das Leben schwer und Reisezeiten kaum planbar. Kleinwasser, Nebel, Eisgang und Hochwasser wechselten sich ab und führten oft zu langen Liegezeiten. Ich erinnere mich gut an jene Reise im Winter 1962/63. Damals war ich im 3. Lehrjahr auf der AIROLO als 2. Matrose beim Schiffsführer Karl Greulich aus Eberbach am Neckar. Ein trockener Herbst und ein extremer Kälteeinbruch schon im November kündigte einen Jahrhundertwinter an. Als wir am 5. Dezember von Basel zu Tal fuhren, war der Wasserstand am Oberrhein bereits so niedrig, dass wir im Raum 1 rund 50 Tonnen Kies luden, damit das Heck «herauskam», d.h. mit weniger Tiefgang im Wasser lag. So rutschten wir buchstäblich über diverse Untiefen und Kiesbänke im Oberrhein. Nebel und die kurzen, eisigen Dezembertage bewirkten, dass wir erst am 22. Dezember in Rotterdam ankamen. Im Seehafen trieb bereits eine Menge Eis mit der Ebbe und Flut hin und her. Das Anlegen an der Boompies war deswegen nur mit Mühe möglich. Ein bisschen Weihnachten im Steuerhaus Der Aufenthalt in Rotterdam war kurz und bereits am 23. Dezember, Weihnachten hin oder her, fuhren wir halb leer wieder zu Berg. Schon auf dem Niederrhein kamen uns erste dünne Eisschollen entgegen, die sich nachts im ruhigen Wasser zwischen den Krippen gebildet hatten. Die Temperatur sank in der Nacht jeweils auf unter minus 20 Grad C und stieg auch am Tag nicht viel höher. Täglich wurde das Treibeis dichter und härter. Oberhalb der Lorelei im Eiswinter 1962/63 Unterhalb Lorelei im Eiswinter 1962/63 Am 6. Januar 1963 war die Reise in St. Goar vorerst zu Ende. Zusammen mit allen andern Schiffen wies uns die Wasserschutzpolizei in den Eishafen, da die Loreley für die Schiffe nicht mehr passierbar war. In der dortigen Flussbiegung hatte sich bereits eine gefährliche Barriere aus Treibeis gebildet. Mit Eisbrechern versuchte die Wasserbaubehörde zwar den Damm aus Eis aufzubrechen, musste allerdings klein beigeben. Danach versuchte man es weiter mit Sprengungen. Immerhin konnte man verhindern, dass sich ein Stausee mit verheerenden Folgen für die Stadt Oberwesel oberhalb der Loreley bildete.
Die Eisbrecher REIHER und NOBELING oberhalb der Lorelei im Eiswinter 1962/63 Der Eisbrecher JOSEF LANGEN kämpft mit den Eismassen Der Eishafen von St. Goar war voll mit Schiffen. Jene, die keinen Platz mehr fanden mussten wenden und stromabwärts einen Schutzhafen aufsuchen. In den ersten Tagen war es noch lustig. Auf einem holländischen Kahn wurde ein Laderaum zur Trink- und Tanzhalle umfunktioniert. Der Rheinwein war billig und in genügender Menge käuflich. Viel Anderes konnte man auf den Schiffen nicht tun, ausser dafür zu sorgen, dass die Öfen nicht ausgingen. Die Reederei sah das auch so und schickte alle, ausser einer Bordwache nach Hause in die «Freien Tage». Ein voller Winterschutzhafen in Salzig 1962/63 Auch ich fuhr nach Hause wo es warm und gemütlich war und zudem die Fasnacht vor der Tür stand. Aber das Glück war nicht vollkommen, denn just in diesen Tagen brach auf den umliegenden Höfen die Maul- und Klauenseuche aus und sämtliche Fasnachtsbälle, Umzüge und andere Festivitäten wurden weit herum für Wochen verboten. Ein schwerer Schlag für den damals 19-Jährigen. Als sich dann anfangs März endlich das ersehnte Tauwetter ankündigte, gings zurück auf die AIROLO. Aber statt endlich weiter zu fahren, mussten wir wegen des Hochwassers, das die Schifffahrt blockierte, noch einige Tage im Schutzhafen warten. Endlich, am 12. März 1963, also 97 Tagen nach der Abreise, kam die AIROLO wieder in Basel an.
Aus dem Dienstbuch des Verfassers Während die AIROLO im Winterhafen von St. Goar lag, kam auch die Schifffahrt im Hafen von Rotterdam zum Erliegen. Es gelang nicht, das Treibeis in die Nordsee zu bringen und es trieb, wie schon gesagt, vom Ebb- und Flutstrom getrieben, pausenlos hin und her. In den Hafenbecken bildete sich eine kompakte Schicht dieses Eises und lähmte die Binnenschifffahrt total. Schiffe der «Roten» stecken in Rotterdam im Eis fest Das Schleppschiff EDELWEISS 17 und der «Stromer» COLORADO liegen in einem Rotterdamer Hafenbecken. Im Vordergrund liegen zwei am Grund verankerte Bojen, an denen jeweils die Hochseeschiffe, die mitten im Hafenbecken ankern, ihre Trossen festmachen. Die EDELWEISS 17 hat ihr Stockanker binnenbords geschwenkt, wie es für die Reise nach Antwerpen Vorschrift war. Schleppschiffe in Rotterdam Auf dem Bild ist ein Hafenbecken zu sehen, vermutlich ist es der Rijnhaven in Rotterdam. Am oberen Bildrand sind Anlegesteiger zu sehen. Die ersten Schiffe haben noch normal nebeneinander festgemacht. Die weiteren Schiffe konnten wegen des Eises nicht mehr richtig anlegen. Die meisten Schiffe waren nur entweder am Bug oder am Heck miteinander verbunden, so dass die Besatzungsmitglieder an Land gehen konnten. Der Weg über das Eis war extrem gefährlich. Eisbrecher bahnten hie und da einen Fahrweg. Die beiden Bilder stammen aus dem Geschäftsbericht der Schweizerischen Reederei AG 1963. (Quelle Fotos Schweiz. Wirtschaftsarchiv Basel SWA)
Die Boot GLARUS liegt in Basel auf Strom im Eiswinter 1962/63
Ein niederländisches Rheinschiff liegt bei der Rhenus im Hafenbecken I von Basel Kleinhüningen 1963 war das letzte Mal, dass ein Eisgang die Schifffahrt an der Loreley zum Erliegen brachte. Die diversen Atomkraftwerke und die Abwässer aus den Industrieanlagen entlang des Rheins verhindern seither mit ihrem warmen Wasser weitere Eisbildungen vom Hochrhein bis zur Nordsee. Allerdings kam es im Januar 1966 an der Mosel nochmals zu einer Sperrung, da das Eis die Schleusentore blockierte. Aber das ist wieder eine andere Geschichte. SwissShips im November 2021 |