Die Reedereiflagge der Schweizerischen Reederei AG (SRAG) Basel
PADELLA am Donnerstag, 20. Oktober 1960 an der Johanniterbrücke in Basel
Heiri Hüsler war gerade erst 16 Jahre alt geworden, als er am Ostermontag, 19. April 1960 bei der Schweizerischen Reederei AG in Basel eine Lehre als Schiffsjunge antrat. Die ersten drei Monate lernte er das Matrosenhandwerk auf dem Schulschiff LEVENTINA.
Morgens um 06.00 Uhr ein Sprung in den Rhein
Ab Pfingsten begann jeder Tag für die 26 Schiffsjungen immer mit einem Sprung in den Rhein und ein paar Schwimmzügen bis zur nächsten Treppe. Zum Schulprogramm gehörte auch das Wriggeln, das Rudern mit nur einem Riemen, aber auch Holländisch (nur ein wenig) und zahlreiche andere Fächer. Von der Motorkunde ist ihm vor allem der Grundsatz geblieben: «Arbeit = Kraft mal Weg» und «Steuerbord ist grün und Backbord ist rot». Darum würden Leute mit roten Haaren oft Backbordlichter genannt.
Wriggeln ist gar nicht so einfach
Heiri gefielen auch die Uniformen der Schiffsjungen, massgeschneidert vom Zeughaus Basel, und die Schiffermütze mit der Reedereiflagge.
Am 18. Juli 1960 erhielt er von der Reederei das Dienstbuch, in dem fortan alle Reisen aufgezeichnet wurden. Damit musterte er auf dem Tankschiff PADELLA an, das gerade in Basel lag. Padella heisst auf Italienisch Pfanne, aber das Schiff erhielt diesen Namen von einem kleinen Pass im Kanton Graubünden, der auch so heisst.
Die PADELLA hatte schon eine lange Geschichte hinter sich, denn sie wurde im 2. Weltkrieg 1941 bei der Deggendorfer Werft in Deggendorf an der Donau gebaut und auf den Namen ROHRBERG getauft. Sie transportierte bis 1945 Öl von Rumänien bis nach Deutschland. Nach dem Krieg wurde sie stillgelegt, denn die Donau war über Jahre durch den «Eisernen Vorhang» gesperrt. Die Reederei Wallner verkaufte einige Tankschiffe an die Schweizerische Reederei.
Das Schiff fährt über Land
Dann wurden die Schiffe in mehrere Teile zerlegt und mit Lastwagen nach Würzburg gefahren. Dort wurden sie auf der Werft wieder zusammengesetzt. Die ehemalige ROHRBERG wurde mit einer Flasche Champagner auf den Namen PADELLA getauft ins Wasser gelassen. Dann wurde sie den Main hinunter auf den Rhein geschleppt, wo sie ihren Dienst als Tankschiff für die Schweizerische Reederei aufnahm.
Der Stapellauf der PADELLA bei Neckermann & Hofmann in Würzburg am Main
Die PADELLA, Schiffe werden immer mit der weiblichen Sie-Form benannt, war ein relativ kleines Schiff ohne eigenen Antriebsmotor und Schraube. Sie musste immer von einem Schlepper oder einem andern Motorfrachtschiff gezogen werden. Ihre Länge betrug von 72.98 m und die Breite 9.04 m. Bei einem maximalen Tiefgang von 2.32 m, konnte sie 983 Tonnen Öl aufnehmen. Der Heimathafen war Basel.
Der Schiffsführer wohnte mit seiner Familie im Achterschiff, dem hinteren Schiffsteil. Der Schiffsjunge und der Matrose hatten ihre Wohnung am Bug, dem Vorschiff. Dazwischen lagen die Tanks für den Transport von Öl.
Aus dem Dienstbuch von Heiri Hüsler
Mit dem Dienstbuch in der Tasche stieg er an Bord und wurde vom Schiffsführer Christoph Melsen begrüsst. Für Heiri begann eine neue Zeit. Kaum war er an Bord, wurde die PADELLA mit einem andern Schiff Seite an Seite vertäut und schon wurde gewendet, und für Heiri begann die erste Schiffsreise seines Lebens. Die erste von vielen, die noch kommen sollten.
Ein paar Tage später erreichte die PADELLA die holländische Grenze und Heiri sah zum ersten Mal Windmühlen. Bald lag das Schiff auf dem Liegeplatz für Tankschiffe vor dem Städtchen Papendrecht. Mit dem Ruderboot mussten sie zum Einkaufen an Land rudern. Dort erwies sich das auf Holländisch gelernte «Vater Unser», (onze-vader), nicht gerade als hilfreich für den Einkauf von Fleisch und Obst.
Am Abend zeigte ihm sein Matrose Fritz Jenzer, wie man die Fähre nach Dordrecht benutzt und dass es dort an der Anlegestelle Fritten und Loempias, jene unvergleichlichen Frühlingsrollen, gab, sein Lieblingsessen bis heute.
Holland gefiel Heiri auf den ersten Blick, und das ist bis zum heutigen Tage so geblieben. Von Papendrecht ging es am nächsten Tag über Seeland nach Antwerpen. Dabei fuhr Heiri mit der PADELLA erstmals im Salzwasser zwischen den Inseln der Provinz Zeeland. Dabei lernte er, dass das Salzwasser trotz Seife nicht zum Waschen von Wäsche taugt. Keine Ahnung warum nicht. In den Schleusen von Hansweert und Wemeldinge sah er erstmals Männer und Frauen in Holzschuhen, die sie in Holland Klompen nennen und unbequem waren, aber warm geben sollen. Die Leute verkauften dort den Schiffern Gemüse, Ardappelen, Butter und Käse, der in Holland Kaas heisst. In Antwerpen wurde die PADELLA mit etwa 900 Tonnen dickflüssigem Heizöl, Qualität «Schwer» geladen. Das Öl war sehr heiss, damit es überhaupt durch die Rohre gepumpt werden konnte. Erst nach und nach kühlte es sich ab. Als sie zwei Wochen später mit der Ladung in Basel waren, musste die Ladung zuerst wieder erhitzt werden. Dies erfolgte über die Dampfheizschlangen, die in den Tanks an den Innenwänden angebracht waren und vom Land aus mit heissem Dampf versorgt wurden. Erst nach ein paar Stunden war das Öl wieder heiss genug, dass es an Land gepumpt werden konnte.
Die PADELLA, voll beladen mit 983 Tonnen Schweröl
Währenddessen begab sich Heiri, der Schiffsjunge, zur Migros im Dorf Birsfelden – zu Fuss natürlich und immerhin eine Strecke von 45 Minuten. Bepackt mit dem Nötigsten für ihn und den Matrosen, Teigwaren, Reis, Dosenravioli, einen Ring Cervelats und Brot, marschierte er zum Schiff zurück. Es sollte für eine Woche reichen.
Mit Dampf wird das Schweröl aufgeheizt und an Land gepumpt
Es folgten nun nacheinander vier Reisen von Basel zum Ölhafen von Wesel im Ruhrgebiet. Zum Einkaufen musste man dort vom Hafen zur Stadt Wesel fast eine Stunde gehen und alles aufs Schiff zurücktragen. Es gab damals weder Rucksäcke noch die heute beliebten Einkaufswägelchen. Unterwegs konnte man hin und wieder bei Proviantbooten einkaufen, die während der Fahrt am Schiff anlegten und alles im Sortiment hatten, was nötig war. 1960 war ein schöner Sommer und Heiri lernte, wie man vom Bug des Schiffs ins Wasser springen und am Heck wieder zurück an Bord steigen konnte. Natürlich nicht während der Fahrt, sondern nur wenn das Schiff am Abend vor Anker lag.
Heiri war mit sich und der Welt zufrieden. Er hatte seinen Traumberuf wahr gemacht und gewöhnte sich rasch an die schwere Arbeit. So merkte er auch nicht, dass er in den erste
drei Monaten 15 Kilo abgenommen hatte. Er dachte, dass das Leben immer so weitergehen könnte.
Basel, am 20.10.1960
So ging es auch bis zum 20. Oktober 1960. Sie waren am Abend zuvor in Basel-Kleinhüningen angekommen und mussten am nächsten Morgen zum Ziel in Birsfelden geschleppt werden.
Der Schlepper GLARUS nahm die PADELLA am Morgen an den Strang und zog das Tankschiff rheinauf durch die Stadt Basel. Am Steuer standen der Lotse und der Schiffsführer Christoph Melsen. Sie hatten die Drei-Rosen-Brücke schon passiert und liessen auch die Johanniterbrücke ebenfalls hinter sich. Etwa hundert Meter oberhalb der Brücke sahen sie, wie vom Schlepper GLARUS eine weisse Dampfwolke aufstieg. Gleichzeitig stellten sie fest, dass das Schiff nicht mehr vorausfuhr, sondern stehen blieb und dann langsam in der Strömung zurücktrieb. Mit dem Signalhorn gab der Schlepper den Befehl zum Ankersetzen.
Sofort rasselten die Anker in die Tiefe. Leider bestand der Boden des Rheins dort aus nacktem Felsen, auf dem kein Anker halten kann. Noch 60 Jahre später hat Heiri das scheppernde Geräusch des Ankers auf den-Felsen im Ohr und auch das Knacken der brechenden Ankerkette.
Die PADELLA trieb langsam, aber unaufhaltsam zurück und befand sich mit dem Heck schon zwischen dem Brückenpfeiler und der Uferböschung. Da stiess das Schiff mit der Backbordseite auf der Höhe des hintersten Laderaums ganz sanft gegen den Brückenpfeiler. Dieser Stoss genügte, dass das Schiff «Wasser schöpfte» und sich langsam, wie im Zeitlupentempo gegen backbord legte. Lotse und Schiffsführer wussten sofort, dass das Schiff vor die Brücke fallen und vom Wasserdruck sinken könnte. Während der Lotse zusammen mit der Frau des Schiffsführers und dem 4-jährigen Sohn Rudi im Steuerhaus blieb, versucht der Schiffsführer mit dem Matrosen das Ruderboot, das auf Deck stand, zu Wasser zu lassen.
Heiri der Schiffsjunge, der vorher ebenfalls im Steuerhaus stand, wollte dabei helfen und war genau zwischen den Steuerhaus und dem Ruderboot, als die PADELLA quer vor dem Brückenpfeiler lag und innert Sekunden wie ein Stein versank.
Das überschwappende Wasser erfasste den Schiffsjungen, der sich glücklicherweise noch mit den Händen an einem Entlüftungsrohr über Deck festhalten konnte. Da das Schiff auf dem Rheinboden festlag, sank es nicht mehr weiter.
Der Schiffsführer und der Matrose konnten gerade noch das Ruderboot besteigen und trieben über das Schiff hinweg. Mit einer Wurfleine konnten sie zum Steuerhaus gelangen und dort Frau Melsen, den kleinen Ruud und den Lotsen ins Boot nehmen. Derweilen hielt sich der Schiffsjunge verzweifelt an einem Entlüftungsrohr fest, das gerade vom Wasser überspült wurde.
Mittlerweile hat der Vorfall bei der Wasserpolizei Alarm ausgelöst, und das Feuerlöschboot FLORIAN nahm sofort mit Horn und Blaulicht Kurs auf den Havaristen. Ebenfalls wurde ein schnelles Motorboot zu Wasser gelassen, das sich rasch der gesunkenen PADELLA näherte.
Quer vor der Johanniterbrücke
In diesem Moment verliessen den Schiffjungen die Kräfte und er trieb im neun Grad kalten Wasser rheinabwärts. Er sah noch die Welle hinter dem Wrack und auch, dass ein Motorboot auf ihn zusteuerte. Zuerst wurde ihm ein Rettungsring zugeworfen, an den er sich verzweifelt klammerte. Dann, etwa 200 m unterhalb der Johanniterbrücke zogen ihn die Wasserpolizisten auf das Motorboot. Als sie nachher am Ufer anlegten stand schon ein Sanitätsfahrzeug bereit, und die Sanitäter wickelten den schlotternden Schiffjungen sofort in warme Tücher, während es in rascher Fahrt zum Universitätsspital ging.
Fast ganz unter Wasser
Im «Blick» vom 21. Oktober 1960
Gesunken an der Johanniterbrücke
im Hintergrund die Boot GLARUS deren Anker gehalten hat
In den 9-Uhr Nachrichten wurde im Radio schweizweit über das Unglück der PADELLA berichtet und der Vater von Heiri hörte die schockierende Nachricht in der Backstube. Fast gleichzeitig meldete sich die Reederei per Telefon und beruhigte die Eltern. Der Sohn sei gerettet und befinde sich jetzt noch zur Kontrolle im Spital, sei aber nicht verletzt.
Heiri erholte sich rasch von der Unterkühlung und vom Schock. Er hatte zwar alles verloren und besass nur gerade noch seine nassen Kleider, den dicken, dunkelblauen Pullover und seine Arbeitshosen. Trotzdem war er froh, dass ihm weiter nichts passiert war. Gut eine Stunde später brachte ihm Herr Schmid vom Personaldienst der Reederei neue Kleider und den ausstehenden Lohn. Im Lauf des Nachmittags kam er daheim an, wo die Freude riesig war.
Wieder glücklich daheim
Mit der Bergung des Schiffs hatte Heiri nichts mehr zu tun. Das machten Spezialisten. Er genoss noch Ferien und Freie-Tage, bis er Order bekam, am 9. November in Bad Salzig im Rheinland auf dem Tank-Motorschiff SOLDANELLA anzumustern. Den Schock des Schiffsuntergangs hatte er gut überwunden.
Seine schönste Reise mit der SOLDANELLA war im Frühling 1961 von Rotterdam über den Amsterdam-Rheinkanal nach Amsterdam, und von dort über das Ijsselmeer und weiter auf Kanälen durch die endlosen Tulpenfelder von Friesland bis nach Groningen, ganz oben fast an der Nordsee. Das war Holland wie aus dem Bilderbuch. Einfach unvergesslich!
Die Bergung des gesunkenen Schiffes war schwierig. Zum Glück war bei der Havarie kein Öl ausgeflossen. Man verlängerte die Entlüftungsrohre bis sie über Wasser ragten.
Die Bergungsspezialisten am Werk
Das Motor-Tankschiff CAMPANULA legte oberhalb der Johanniterbrücke am Ufer an. Dann legte man eine Rohrleitung von der CAMPANULA zum gesunkenen Schiff und schloss diese unter Wasser an die PADELLA an. Hierauf pumpte man das dickflüssige Schweröl in die CAMPANULA um. Anstelle des abgepumpten Öls strömte nun Luft durch die verlängerten Entlüftungsrohre in die Ladetanks. Als das Schiff um etwa 200 Tonnen Öl geleichtert war stieg die PADELLA von selbst wieder an die Oberfläche und konnte weggeschleppt werden.
Taucher im Einsatz
Im Basler Tagblatt
Am 8. Tag schwamm die PADELLA wieder
Auf einer Werft in Strasbourg wurde die PADELLA wieder repariert und auf 79.90 Meter verlängert
Der kleine Rudi Melsen half tatkräftig beim Teeren der Bordwand mit
Schon bald konnte Rudi wieder auf dem Schiffdeck mit seinem Dreirad umherradeln
1968, als Heiri sein Schiff, die PADELLA zum letzten Mal sah
Als Dankeschön und zur Erinnerung erhielten alle Beteiligten einen Zinnteller mit dem Basler Wappen und dem Basilisk
«Zur Erinnerung an die Bergung des TS PADELLA Basler Transport Versicherungs-Gesellschaft»
Der Teller hängt heute noch über dem Bett des damaligen Schiffsjungen Heiri Hüsler. Hie und da träumt er sogar noch davon.
Quellen: Schweiz. Wirtschaftsarchiv SWA, Basel / Rudi Melsen, Muttenz |