Die Ereignisse um die Maritime Suisse sind im Grunde genommen, zumindest teilweise, mehr eine politische, denn eine maritime Geschichte, die sich über Jahre hinzog bis sie endlich abgeschlossen werden konnte. Diese Firma wurde auf Betreiben von Gottlieb Duttweiler, zusammen mit Peter Kehrli während des 2. Weltkriegs gegründet. Im Sommer 1940 sperrte England die Strasse von Gibraltar für alle griechischen Schiffe, somit mussten die vom KTA (Kriegs Transport Amt), Bern gecharterten griechischen Schiffe in Portugal gelöscht werden. Nachdem die Schweizer Regierung im April 1941 ein neues Gesetz über die Seeschifffahrt unter Schweizerflagge erlassen hatte, war der Weg frei eine eigene Reederei zu gründen und Seetransporte von Portugal ins Mittelmeer mit Schweizer Schiffen zu betreiben.
Die Reederei Maritime Suisse S. A., mit Sitz in Basel wurde am 7. Mai 1941 in Zürich gegründet. Gemäss Gründerstatuten war der Zweck der Gesellschaft "Erwerb oder Charterung von Schiffen, sowie die Durchführung von Seetransporten zur Förderung der Landesversorgung". Im Verwaltungsrat waren Gottlieb Duttweiler, Peter Kehrli, H. Steinfels und Dr. G. Wettstein, ein Zürcher Rechtsanwalt und Kantonsrat, der als Präsident amtete.
Mit einem Apportvertrag brachten G. Duttweiler und P. Kehrli den alten und reparaturbedürftigen Dampfer GENEROSO ex "Varko" zum Gesamtpreis von 950'000 Franken in die Gesellschaft ein, den sie durch Vermittlung von Marc Bloch erworben hatten. Duttweiler, oder genauer gesagt der MGB, Migros Genossenschafts Bund in Zürich und Peter Kehrli zusammen mit Marc Bloch waren die zwei Hauptaktionäre mit je 44%. Anteile am Aktienkapital hatten auch H. Steinfels (10%) und G. Wettstein (2%). Anfänglich hatte Duttweiler das Sagen in der Firma, Fürsprech O. Bürgi (intern auch "Admiral" genannt), ein Vertrauter von Duttweiler hielt die Geschäftsführung in seinen Händen und die Buchführung wurde beim MGB besorgt. Marc Bloch war nützlich wegen seines maritimen Wissens und seiner Kontakte, anfänglich fügte er sich auch gut in die Firma ein. Die GENEROSO wurde nach dem Tessiner Berg Monte Generoso benannt, dessen Zahnradbahn kurz zuvor im März 1941 von Duttweiler vor dem Bankrott gerettet wurde. Am 29. Mai 1941 wurde sie als viertes Schiff unter Schweizer Flagge registriert.
Gottlieb Duttweiler (1888 - 1962) war ein Zürcher Geschäftsmann und Gründer der Migros, heute eine der grössten Supermarktketten in der Schweiz mit eigenen Produktions- und Dienstleistungsbetrieben. Er gründete im Jahr 1936 auch eine eigene politische Partei, den LdU, Landesring der Unabhängigen, der eine sozialliberale Politik vertrat. Allerdings stieg die Partei nach Duttweilers Tod in die Bedeutungslosigkeit ab und wurde 1999 aufgelöst, siehe auch Migros Geschichte .
Peter Kehrli war Teilhaber in der altbekannten Speditionsfirma Kehrli + Oeler AG in Bern. Peter Kehrli handelte offenbar teilweise ohne das Wissen seines Partners Oeler. Als grosse Forderungen der Maritime Suisse ins Haus flatterten, kam die Firma in beträchtliche finanzielle Schwierigkeiten und ein Bankrott konnte knapp vermieden werden. Als Folge schied Peter Kehrli aus der Firma aus und die Familie Oeler führt das Unternehmen bis zum heutigen Tag alleine weiter.
H. Steinfels gehörte zu der Besitzerfamilie der Seifenfabrik Friedrich Steinfels AG, Zürich. Die Produktionsanlagen in Zürich-West wurden vor einigen Jahren abgebrochen und das Gelände ist neu überbaut (Westside). Ihre Produktmarken wurden an Henkel & Cie. AG und an CWK AG verkauft.
Marc Bloch (teilweise auch Marcel Bloch genannt), stammte aus Bern und war ein Genfer Geschäftsmann der enge Beziehungen zu linken Kreisen in Genf, aber auch zu den sozialistischen Republikanern in Spanien pflegte (auch "Rotspanier" genannt), aber vor allem verstand er es ausgezeichnet seine eigenen Interessen gebührend zu vertreten und zu seinem eigenen Vorteil zu nutzen. Anscheinend verfügte er auch über einiges Wissen und über gute Kontakte in der Seeschifffahrt.
Um ein zweites Schiff zu kaufen, die s/s ZÜRICH ex-"Ergo", wurde am 7. April 1943 das Aktienkapital auf 2,0 Mio. Franken erhöht. Die Zürcher Bank SBG, Schweizerische Bankgesellschaft zeichnete auch Anteilscheine und Dr. Th. Jäger von der SBG nahm Einsitz im Verwaltungsrat. Die im Jahr 1893 gebaute, schrottreife ZÜRICH musste mit erheblichen Kosten wieder seetüchtig gemacht werden und wurde am 30. März 1943 unter Schweizer Flagge in Dienst gestellt. Sie war das Älteste je unter Schweizer Flagge registrierte Schiff.
Wir nehmen auch an, dass Maritime Suisse AG auch mit der dänischen Reederei "Vesterhavet" (J. Lauritzen København) verhandelte, denn deren Dampfer NANCY (BRT 1153 / Baujahr 1921) lag interniert in Lissabon und in der Reedereichronik von Søren Thorsøe, wird im Sommer 1943 ein möglicher Verkauf dieses Schiffes an die Schweiz vermeldet. In einem Bericht im "Brückenbauer" vom 16.04.1943, monierte G. Duttweiler, dass die finnischen und dänischen Schiffseigner dem Schweizer Franken misstrauen und ihre Schiffe nicht wirklich abgeben wollten, eventuell jedoch mit einer Klausel, dass die Schiffe nach dem Krieg wieder zurückgegeben werden.
In den ersten Jahren florierte die Reederei und schrieb sogar Gewinne. Doch bald ergaben sich Unstimmigkeiten zwischen Duttweiler und Bloch. Offenbar auf Anregung des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartments wollte Bloch zusammen mit Kehrli die Aktienmehrheit an sich reissen. Insbesondere des KTA in Bern gab sich alle Mühe um Duttweiler, einen missliebigen politischen Gegner aus dem Weg zu räumen und zu schädigen. Da zu dieser Zeit das KTA alleiniger Befrachter für Schweizer Schiffe war, drohten sie mit dem Entzug von Frachtaufträgen, um dem Ansinnen mehr Nachdruck zu verleihen. So die Version von Duttweiler (siehe "Brückenbauer" vom 7. Dezember 1956, Artikel "Die ungleichen Ellen"), die jedoch später vom damaligen FDP-Bundesrat Dr. W. Stampfli, Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartments von 1940 bis 1947, in einem Leserbrief im "Brückenbauer" in Abrede gestellt wurde (11. Januar 1957).
Unter den gegebenen Umständen zog es Duttweiler vor, sich aus der Maritime Suisse zurück zu ziehen, am 28. September 1943 verkaufte der MGB seine 2000 Aktien zum Wert von 900'000.- Franken (10 % unter Pari) an Bloch und Kehrli. Auch die SBG verkaufte nun ihre Aktien gleichmässig an Bloch und Kehrli. An der nächsten Sitzung des Verwaltungsrates am 7. Oktober 1943 trat Duttweiler zusammen mit G. Wettstein und Dr. Th. Jäger von der SBG aus dem Verwaltungsrat aus. Im November des gleichen Jahres wurde der Sitz der Firma von Basel nach Genf verlegt und Marc Bloch und Albert Oeler wurden in den Verwaltungsrat aufgenommen. Peter Kehrli wurde neu Präsident des Verwaltungsrates.
Im Herbst 1943 waren in der Schweiz Nationalratswahlen angesagt. Bloch brachte dann das sogenannte "Dossier B" in Umlauf um G. Duttweiler zu belasten. Kurz gesagt, Bloch brachte Duttweiler in Kontakt mit Léon Nicole, dem Chef der vom Bundesrat wegen staatsfeindlichen Umtrieben verbotenen Federation Socialiste Suisse, um dessen Unterstützung für seinen eigenen, unabhängigen Kandidaten Professor Rappard in Genf zu erhalten. Obwohl in dieser Affäre Gottlieb Duttweiler kein wirkliches Fehlverhalten angelastet werden konnte, brachte es doch seiner Partei, dem LdU beträchtlichen Schaden.
Trotz all dieser Widerwärtigkeiten transportierten die GENEROSO und die ZÜRICH während der Kriegsjahre ungefähr 75'000 Tonnen Güter für die Schweiz von Portugal nach den Mittelmeerhäfen Italiens und Frankreich, hauptsächlich Genua und Marseille.
Die Schwierigkeiten der Firma begannen mit dem Verlust der GENEROSO im Hafen von Marseille am 19. September 1944 und etwas später im Januar 1946 mit der Strandung der ZÜRICH bei Gibraltar. Die Schiffe waren wohl versichert, aber die Zahlungen der Versicherungen mussten grösstenteils zur Deckung von Bankforderungen verwendet werden.
Obwohl die Firma jetzt keine Schiffe mehr hatte, wurden allerlei Verträge in Seetransportgeschäften abgeschlossen. Marc Bloch gelang es auch verschiedene Genfer Lokalpolitiker in den Verwaltungsrat aufzunehmen, wie den freisinnigen Stadtrat und Finanzdirektor Jules Peney, um sie als willkommene Aushängeschilder zu benutzen. Francois Graisier, ein prominenter PdA Parteibonze (kommunistische Partei) wurde 1945 Direktor der Maritime Suisse S. A.
Der Ersatz der verlorenen Schiffe in der Nachkriegszeit gestaltete sich als mühseliges Unterfangen. Zwei Dampfer, die s/s ASCONA ex "PAN ORLEANS" und die s/s PONTRESINA, ex "LORENZ L.-M. RUSS" (in der Schweizer Presse auch "LORENZO RUSS" genannt) wurden angekauft und anscheinend im Jahr 1948 übernommen. Die Reparaturen der beiden Schiffe verschlang sehr viel Geld und am 27. November 1948 ging die Reederei mit einem Defizit von ungefähr 3,5 Millionen Franken in Konkurs.
Das Schicksal der beiden Schiffe liegt sehr im Dunkeln, gemäss alten Lloyds Register Einträgen fuhr die ASCONA unter der Flagge von Honduras bis 1952 für die Cargo S. A. Hafenstrasse 19, Basel, danach unter dem gleichem Namen unter Italienischer Flagge bis September 1959, als sie in Savona verschrottet wurde. Wir haben von einer Dame aus Basel vernommen, dass ihr verstorbener Mann als Besatzungsmitglied im Jahr 1948 zusammen mit dem Schweizer Kapitän Gerber auf der ASCONA von Antwerpen nach Haifa gefahren ist. Der Dampfer soll von einer Firma Kehrli Transport AG in Bern betrieben worden sein, jedoch sind uns zur Zeit keine weiteren Details bekannt.
Die PONTRESINA wurde als Wrack "LORENZ L.-M. RUSS" von Maritime Suisse angekauft und 1948 in Genua repariert. Ob der Dampfer aber je für die Maritime Suisse S. A. in Fahrt gekommen ist, ist sehr fraglich, da im November 1948 die Reederei in Konkurs ging. Die PONTRESINA fuhr bis 1960 unter der Flagge Panamas bis sie vermutlich durch Verkauf den Namen wechselte und am 11. Juni 1968 vor der Küste Griechenlands verloren ging. Es scheint, Kehrli (zusammen mit Bloch?) konnte die beiden Schiffe wirksam aus der Konkursmasse fernhalten und weiter betreiben, aber wir konnten bis jetzt keine gesicherten Unterlagen über diese Ereignisse finden.
Die Untersuchung der Affäre Maritime Suissse S. A. gestaltete sich sehr schwierig und nahm ungefähr sieben Jahre in Anspruch. In den ersten Jahren konnten keine Beanstandungen über die Geschäftsführung gemacht werden, die beiden alten Dampfer erwirtschafteten sogar einen guten Gewinn. Doch nach 1943 war Marc Bloch Hauptaktionär und Direktor, also faktisch alleiniger Chef der Maritime Suisse und schon 1945 wendete sich das Blatt. Die Bilanz wies nun ein erhebliches Defizit auf, das jedoch geschickt vertuscht wurde. Die Buchführung war sehr unordentlich, Belege fehlten und Marc Bloch vermischte ständig seine privaten Angelegenheiten mit denjenigen der Firma. Auch gönnte er sich trotz der misslichen Lage der Firma ein für die damalige Zeit fürstliches Gehalt von ungefähr 4000.- Franken, plus grosszügige Summen für Repräsentations- und Reisespesen, sowie andere, meist unberechtigte Kommissionen. Er wurde beschuldigt, ungefähr 3,0 Mio. Franken unter betrügerischen Umständen aus der Firma bezogen zu haben.
Im Januar 1956 wurde die Affäre endlich von einem Genfer Gericht aufgenommen und am 21. Juni 1957 wurde der einzige Angeklagte Marc Bloch des betrügerischen Bankrotts und des gewerbsmässigen Betrugs schuldig befunden und zu 2 ½ Jahren Zuchthaus verurteilt.
Allerdings war die Geschichte noch keineswegs abgeschlossen, schon im März 1953 forderte der Konkursverwalter von G. Duttweiler und P. Kehrli, als ehemalige Verwaltungsräte die Bezahlung von der Summe von 785'100.- Franken auf Grund der am 28. September 1943 eingegangen Wechselverpflichtungen. Allerdings bestritten die Beklagten die Forderung und am 18. September 1957 verpflichtete das erstinstanzliche Zivilgericht in Genf G. Duttweiler und P. Kehrli zur Zahlung einer angesichts der schlechten Geschäftsführung von M. Bloch um einen 1/5 ermässigten Summe von 628'084.- Franken, zuzüglich 5,0 % Zinsen. Dieses Urteil wurde im April 1958 von dem Genfer "Cour de Justice" bestätigt.
Das Urteil wurde an das Bundesgericht weitergezogen, das jedoch im Februar 1959 das Urteil endgültig bestätigte. Im April 1959 beschloss die Delegiertenversammlung des MGB einstimmig die Forderung zu bezahlen (P. Kehrli hatte leider kein Geld). Somit war das letzte Kapitel dieser unrühmlichen Geschichte geschrieben und abgeschlossen.
Als Anmerkung möchten wir noch erwähnen, dass Marc Bloch mit der Migros Anfangs 1942 den Schweizer Behörden den Dreimastschoner DAVIDA als Schulschiff anbot, allerdings konnte dieses Projekt nicht verwirklicht werden, da die italienischen Behörden den Segler requirierten.
Wir bedanken uns herzlich bei Frau C. Imhof vom Archiv des MGB in Zürich, die uns Einsicht in einige noch verfügbare Akten, sowie in die gesammelten, zeitgenössischen Zeitungsartikel gegeben hat.
HPS-SwissShips, Mai 2011