Die beiden Brüder Charles Marcel Keller-Gysin (1901 bis 1992) und Paul Keller (1903 bis 1968) aus Delsberg, sowie Hans Sackmann-Keller (geb. 1905), der Schwager von Charles, gründeten in 1945 die Keller Shipping AG, Basel, die am 26.12.1945 im Handelsregister eingetragen wurde. Zwei Jahre später folgte die Gründung von Keller Line AG. All die Jahre war Charles Keller der grosse, alles bestimmende Patron der Firma, sein Bruder Paul leitete lange Jahre das eigene Haus in Lissabon. Hans Sackmann, der die Schwester von Charles Keller, Nelie Germaine Keller geehelicht hatte, betrieb in seiner Liegenschaft an der Holbeinstrasse 68, Basel einen Mehlhandel. Er gab den Mehlhandel auf und wurde Finanzchef bei Keller Shipping. Sein Gebäude wurde zum Sitz der Reederei.
Das Bürogebäude von Keller Shipping AG in Basel
Charles Keller und sein Bruder Paul absolvierten eine Lehre als Speditionskaufmann und erwarben Berufserfahrung in verschiedenen ausländischen Städten, z.B. in Antwerpen. Seine guten Kenntnisse der geläufigen Handelssprachen von Westeuropa waren von unschätzbarem Vorteil. Während des zweiten Weltkrieges arbeitete er für das KTA (Kriegs Transport Amt) in Bern und leitete den Autotransit von Portugal und Spanien nach der Schweiz. Zudem war er noch eidgenössischer Hafenkommissär in Bilbao. Charles Keller sass in verschiedenen Verwaltungsräten von ausländischen Reedereien und Versicherungsgesellschaften und war Mitglied in der Schweizerischen Seeschifffahrtskommission und anderen maritimen Gremien, wie Membre titulaire des Comité Maritime International. In seiner Freizeit war Charles Keller ein begeisterter Fasnächtler, Skifahrer und Golfspieler. Zusammen mit seinen Geschäftspartnern in der Bank in Genf soll er zum Skilaufen ins Wallis gefahren sein, was wohl auch die Walliser Schiffsnamen erklärt.
Charles Keller, Senior
Charles Keller hatten zwei Söhne und eine Tochter, Charles und Alfred traten auch in das Unternehmen ein. Charles studierte in Zürich und hatte einen Doktor-Titel. Er leitete später die Firma, leider fehlte ihm der Geschäftssinn seines Vaters. Im Militär brachte er es bis zum Oberst und er vertrat die Reederei im Schweizerischen Reedereiverband. Im Gegensatz zur Schweizerischen Reederei AG und anderen Firmen spielte das Militär jedoch keine grosse Rolle bei Keller Shipping und niemand fragte angehende Seeleute, ob sie Militärdienst leisteten und in welcher Funktion.
Die beiden Brüder Keller hatten zuerst mit einem gecharterten, schwedischen Kümo angefangen und ihr erstes, eigenes Schiff war die LAUPEN, die sie auf einer italienischen Werft in Viareggio in Auftrag gaben. Im Juli 1948 konnten sie den neuen Küstenmotorfrachter übernehmen. Mit der LAUPEN eröffnete Keller Shipping ihren Liniendienst zwischen Italien, Nordafrika und Portugal, die sogenannte Keller Lines. Zwei Jahre später folgte die MURTEN und 1952 die SEMPACH, beide Schiffe umgebaute, britische Marinetrawler aus dem 2. Weltkrieg. Leider verblieb der SEMPACH keine lange Lebenszeit, schon im April 1953 sank sie vor der algerischen Küste.
Die MISOX der BRAG Maritime AG, Basel (Basler Rheinschiffahrt AG) ein Schwesterschiff der LAUPEN erwarb Keller Shipping im August 1952 und nannte sie GRANDSON. Sie fuhr schon vorher im Dienst der Keller-Lines, leider hatte BRAG Maritime keine glückliche Hand im Betrieb des kleinen Frachters und sie waren bestimmt froh ihre Seefahrtspläne zu Gunsten der ihnen besser liegenden Rheinfahrt wieder auf zu geben. Die ARBEDO wurde Ende 1954 übernommen. Bis zum Ende der Keller-Lines in 1994 folgten noch je zwei LAUPEN, GRANDSON und MURTEN, sowie die DORNACH.
Schon 1953 betrieb Keller Shipping einen Liniendienst ab Genua nach dem Roten Meer. Leider ist darüber nicht viel bekannt, aber anscheinend wurde dieser Dienst einige Jahre betrieben. Der alte Küstendampfer GALLUS von der Küstenschiffahrts AG, Goldach war von Keller Shipping gechartert und fuhr im Frühjahr 1953 zum Roten Meer. Sie lief die Häfen Jeddah, Port Sudan, Aden, Assab und Massawa an, auf der Rückreise machte man noch einen Abstecher nach Beirut. Gemäss Zeitungsnotizen aus Genua fuhren 1957 die ARBEDO, sowie die Charterschiffe MASSAUA und die norwegische INGRID H (2500 Tonnen) nach dem Roten Meer. Dieser Liniendienst wurde anfangs der 1960er Jahre aufgegeben.
Andere Charter Schiffe, wie die unter italienischer Flagge fahrenden kleinen Frachter FRAMAR, GIOVANNI TOFFOLO, STELLA DEL MARE und SCHEDIR segelten auf der angestammten Linie nach Portugal. Die FRAMAR und die SCHEDIR setzte man 1957 in einem Schnellservice von Genua nach Portugal ein.
Einige gecharterte Schiffe von Keller Shipping (FotoMar Leixões)
M/S FRAMAR
M/S GIOVANNI TOFFOLO
M/S SCHEDIR
M/S SERGIO P.
M/S STELLA DEL MARE
In den besten Jahren beschäftigte Keller ungefähr 50 Personen in ihrem eigenen Gebäude an der Holbeinstrasse 68 in Basel. Früh schon eröffnete Keller Shipping seine eigenen Niederlassungen in Genua, Milano, Lissabon, Porto, Marseille, Madrid, Malaga und Casablanca. Das Büro der Keller Marittima an der Piazza Campetto 10, in der Altstadt von Genua kannten auch die meisten Seeleute, mussten sie sich jeweils vor der Anmusterung dort melden. Keller Shipping betätigte sich auch als Schweizer Agent für einige ausländische Reedereien und war Lloyd’s Agent (Surveys und Schaden Begutachtung für Schiff und Ladung).
Schon 1951 strebte Charles Keller nach grösseren Schiffen, leider mangelte es ihm an dem nötigen Kapital. Zusammen mit der Genfer Privatbank Lombard, Odier & Cie. gründete er die Transocéanique S.A. Genf (c/o Keller Shipping, Basel), deren Verwaltungsrat bildeten die drei Herren Jean Ernst Bonna und Edmond Barbey, beide von Lombard, Odier & Cie., sowie Charles Keller. Als erstes Schiff erwarb die Firma den neuen Frachter GENERAL DUFOUR, der im Juni 1951 unter Schweizer Flagge registriert und von Keller Shipping betrieben wurde. In den ersten Jahren fuhr die GENERAL DUFOUR zuerst einige Male zur Westküste Südamerikas, aber auch nach Nordamerika und Südafrika, bis sie dann 1955 ihren Liniendienst nach Westafrika aufnahm.
Die Besatzungen der Schiffe bestand traditionell hauptsächlich aus Italienern, aber Keller Shipping beschäftigte auch immer Schweizer. Später kamen natürlich auch Spanier, Jugoslawen und Afrikaner an Bord. Die Italiener waren bei ihrer Cassa Marittima sehr gut versichert, während die Schweizer nur einen minimalen Versicherungsschutz genossen, gemäss dem Schweizer Gesetz. Die Verbindung mit der Familie war damals ziemlich mühsam, man konnte Briefe an Bord schicken und die Reederei versandte Adressen-Listen der Agenten an die Angehörigen. So konnte man Briefe an Bord schicken, musste aber gehörig aufpassen, die Post so abzuschicken, dass sie mit dem Fahrplan des Schiffes im Einklang stand. Viele Schweizer jedoch nutzen das Telefonamt in Genua oder Marseille um zu Hause anzurufen, oft sehr mühsam, gab es doch lange Wartezeiten bis eine Telefonkabine frei wurde. Für Notfälle stand nur der Telegramm-Dienst zur Verfügung. Die Verpflegung an Bord war schon damals an spezialisierte Catering Firmen ausgelagert, z.B. an Ligabue in Venedig oder andere Firmen. Es wurde immer italienische Kost serviert.
Eine Agenten-Liste der Nautilus-Line aus den 1960er Jahren, wie sie den Angehörigen der Seeleute zugestellt wurde
„Fahrplan der Nautilus-Linie 1959“
Inserat in der Februar Ausgabe 1964 von Strom+See
Auf einer Reise nach Genua im August 1953 stattete Charles Keller einen Höflichkeitsbesuch im Büro der Nautilus S.A. in Genua ab, wobei er auch den dort zufällig anwesenden Fürsprech Bernhard Müller der Eidgenössischen Finanzverwaltung traf. Zu dieser Zeit suchte die Eidg. Finanzverwaltung eine für den Bund günstige Lösung für die in Schieflage geratene Reederei zu finden. Massgeblich beschäftigten sich Dr. Max Iklé, Direktor der Eidg. Finanzverwaltung und Bernhard Müller Chef des Rechtsdiensts des Eidgenössischen Finanzdepartements, mit der Nautilus S.A. Lugano. Im Frühjahr 1954 gelangte der Bund erstmals mit der Frage an die Transocéanique heran, ob sie gewillt wäre die Flotte der Nautilus zu übernehmen, um nach Möglichkeit eine schweizerische Lösung des Problems zu erreichen.
Am 01.07.1954 übernahm Keller Shipping AG, Basel die volle kommerzielle und technische Betreuung der Nautilus Schiffe. Bei dieser Übernahme besass die Nautilus S.A. fünf Schiffe, die zwei alten Frachter ST. GOTTHARD und TICINO wurden gleich verkauft, vermutlich auf Betreiben von Charles Keller, während die HELVETIA, die BADEN und die SAENTIS noch viele Jahre unter der Flagge von Keller Shipping weiterfuhren. Gemäss einem Eintrag in dem Schweiz. Handelsamtsblatt vom 09.08.1954 wurde der Verwaltungsrat der Nautilus S.A. jetzt mit Vertrauensleuten von Charles Keller besetzt. Neuer Präsident wurde Jean Bonna, sodann folgte Edmond Barbey und Charles Keller wurde Delegierter. Bixio Bossi durfte im Verwaltungsrat bleiben, hatte jetzt aber nur noch Kollektivunterschrift. In 1955 übernahm Transocéanique S.A. die Aktien und somit auch die Schiffe der Nautilus S.A. Lugano. Die Transocéanique S.A. einigte sich mit dem Bund 12,0 Mio. Franken für die Schiffe zu bezahlen, wobei der Bund einen tüchtigen Abschreiber hinnehmen musste, vermutlich 19,0 Mio. Franken, so genau lässt sich dies heute nicht mehr feststellen. Am 17.02.1964 kauft Transocéanique Suisse S.A. Genf alle Aktien der Nautilus S.A. deren Sitz schon vorher nach Genf verlegt wurde (totales AK: 500'000.- Fr).
Nun führte Keller Shipping die Nautilus-Line von Italien nach Westafrika (Dakar - Lobito Range) weiter bis in die neunziger Jahre, als das letzte Schiff verkauft und alle Reedereiaktivitäten eingestellt wurden. Die Flotte von konventionellen Frachtern transportierten Stückgut vom westlichen Mittelmeer nach Afrika und auf dem Rückweg beförderten die Schiffe Kupfer, Holz, Kaffee, Kakao, Erdnüsse, Tierhäute und andere Landesprodukte, sowie Palmöl nach Europa. Der Hafen von Genua diente der Reederei als ihren "Heimathafen", hier rüstete man normalerweise die Schiffe aus, wechselte die Besatzungen, führte Reparaturen aus.
Die meisten Schiffe der Nautilus-Line und der Keller-Lines nahmen auch Passagiere an Bord. Die Schiffe besassen Kabinen für zwei bis maximum 12 Passagiere (internationale gesetzliche Bestimmung). Touristen konnten eine ganze Rundreise buchen, aber auch andere Leute reisten damals noch mit dem Frachter z.B. von Europa nach Afrika oder umgekehrt.
Passagier-Broschüre aus den frühen 1960er Jahren
Der erste Inspektor der sich um den Unterhalt der Schiffe kümmerte, war Hermann Reinhard, der von der Nautilus S.A. übernommen wurde, dann kam auch Fritz Rupprecht, ein ehemaliger Flugzeugingenieur, der anscheinend die Tochter von Charles Keller Senior geheiratet hatte. Die nachfolgenden Inspektoren waren ehemalige Chief Engineers, Gerhard Baumberger, Josef Bärtschi, Walter Brand und René Dollinger. Diese Leute waren denn auch bestens bekannt bei den Seeleuten.
Im Mai 1978 übernahm die Firma den neugebauten RoRo-Frachter ANZERE von einer Bauwerft in den Niederlanden und setzte ihn auf der Nautilus-Line ein, in 1985 folgte noch der RoRo-Frachter VILLARS, der von einer finnischen Reederei gekauft wurde und das letzte Schiff in der Geschichte von Keller Shipping sein sollte.
In den achtziger Jahren wendete sich das Glück für die Reederei, der 1983 in Kraft gesetzte UNCTAD-Kodex *) von 40:40:20 besagte, dass 40 % des Ladungsvolumens den industrialisierten Ländern, 40 % den Entwicklungsländern und 20 % dem freien Markt zusteht. Diese Regelung war auch von der OECD **) übernommen und akzeptiert worden. Die internationale Schifffahrt befand sich in den 80er Jahren in einem Tief und hatte erhebliche Überkapazitäten. Auch die französische Handelsschifffahrt befand sich in einer sehr schwierigen Lage. Daher versuchten die französischen Reedereien, allen voran die alteingesessene Delmas-Vieljeux mit „okkulten“ Abmachungen die unliebsame Konkurrenz aus der Schweiz aus dem Markt zu drängen. Trotz der Intervention des Bundesrates bei der französischen Regierung in Paris, konnte keine Verbesserung der Situation erreicht werden. Das Frachtvolumen wurde immer weniger, damit sanken auch die Einnahmen.
In 1985 wurden die beiden letzten konventionellen Frachter DAVOS und GENÈVE verkauft und es verblieben nur noch die beiden RoRo-Schiffe ANZÈRE und VILLARS in der Nautilus-Line nach Westafrika. Die Logistik für die Container und Trailers die in den Häfen rumstanden, wurde zum Albtraum für eine verhältnismässig kleine Reederei und auch sehr teuer, so dass auch die modernen RoRo-Frachter veräussert werden mussten. Vermutlich haben auch die alteingesessenen, französischen Agenturfirmen in Afrika das Ihrige zum Niedergang der Reederei beigetragen, unterstützen sie doch primär die grossen französischen Schifffahrtsfirmen.
Im April 1994 verkaufte die Reederei den letzten Kümo, die dritte MURTEN und somit endete die Keller-Lines. Die neuen, grossen Lastwagen und Sattelschlepper, sowie die Frachtfähren haben das Geschäft mit den Kümos kaputt gemacht. Vier Jahre später folgte als allerletztes Schiff die VILLARS, die im Mai 1998 in fremde Hände überging und die Nautilus-Line wurde auch Geschichte. Bis zu ihrem Ende beschäftigte sich die Firma nur noch als Lloyd’s Agent und als Agenten von anderen ausländischen Reedereien. Die Firma wurde anfangs 2014 aus dem Handelsregister gelöscht.
Zum Schluss fügen wir noch an, dass sich ein Teil der alten Schweizer Keller-Fahrer in sogenannten Keller-Treffen gelegentlich zu einem gemütlichen Beisammensein zusammenkommen. Das letzte Treffen fand im November 2017 im Clublokal des SCS, Sektion Aargau in Dottikon AG statt.
*) UNCTAD, United Nations Conference on Trade and Development, auf Deutsch: Konferenz der
Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung
**) OECD, Organisation for Economic Co-operation and Development, auf Deutsch: Organisation
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Quellen:
SwissShips HPS im Juni 2023