Schweizer R E V U E 2/1999 |
Die Schweizer Flagge auf hoher See Rückblick auf die Gründungszeit der helvetischen Hochseeflotte Hans R. Bachmann |
Obwohl die Schweiz ein Binnenland ist, trifft man in allen
Welthäfen Hochseeschiffe unter Schweizer Flagge an. Die Gründung der helvetischen
Seeschiffahrt geht auf das Kriegsjahr 1941 zurück, als die Sicherstellung der
Landesversorgung gefährdet war.
Der Wunsch nach einer Schweizer Flagge für Handelsschiffe tauchte erstmals vor 150 Jahren auf. Ein nach Amerika ausgewanderter Schweizer namens James Funk, der es bis zum Kapitän gebracht hatte, ersuchte den Bundesrat, auf seinem Schiff «Wilhelm Tell» die Schweizer Flagge führen zu dürfen. Die Landesregierung stimmte zu und beauftragte das Eidgenössische Militärdepartement mit der Herstellung der Flagge. Das gleiche Privileg erhielt ein Amerikaner, der sein Schiff «Helvetia» getauft hatte. Eine Flagge machte durchaus Sinn: Die Nationalität eines Schiffes konnte Schutz vor Seeräubern bieten, und in Kriegszeiten durften Frachter eines neutralen Landes mit der Anerkennung ihres Status durch die Seemächte rechnen. Erst 1921 erfolgte an der Verkehrskonferenz in Barcelona die Anerkennung des Flaggenrechts für Binnenstaaten. Vorsorgemassnahmen am Vorabend des KriegesKurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges glaubte man noch, ohne eigene Handelsflotte auskommen zu können. Am 1. April 1938 verabschiedete die Bundesversammlung ein Gesetz, das den Bundesrat zu Vorsorgemassnahmen für Transporte im Kriegsfall ermächtigte. In der Folge wurde das dem Volkswirtschaftsdepartement unterstellte Kriegstransportamt (KTA) ins Leben gerufen. Dieses sollte die notwendige Güterzufuhr aus Ubersee organisieren. Das KTA charterte 15 griechische Frachter - alles grosse und moderne Schiffe, die unter der Flagge ihrer neutralen Heimat fuhren. Damals waren in der Schweiz nur zwei Schiffsreedereien tätig. Die Lausanner Handelsgesellschaft André & Cie. unterhielt ab 1938 einen modernen Getreidefrachter, die «St-Cergue» (7'600 dwt), die unter der Panamaflagge fuhr. Die Schweizerische Reederei AG in Basel verfügte über eine Flotte von Rheinschiffen und war an zwei kleinen, unter holländischer Flagge registrierten Rhein- See- Motorschiffen, der «Albula» und der «Bernina» (jedes 413 dwt), beteiligt. Im Frühjahr 1940 kaufte die Schweizerische Reederei AG unter Beteiligung des Verbandes Schweizerischer Gaswerke zwei weitere Frachter, die in Panama registriert waren: Die «Maloja» (Baujahr 1906, 2'650 dwt) und die «Calanda» (1913, 7'400 dwt). Nach dem Kriegseintritt Italiens sowie dem Zusammenbruch Frankreichs blockierten die Alliierten den gesamten für unser Land ins Gewicht fallenden Schiffsverkehr. 21 Frachter mit für die Schweiz bestimmter Ladung lagen mehr als ein halbes Jahr in Funchal (Madeira) und anderen Häfen fest. Die Engländer forderten fünf der Griechendampfer, gestatteten jedoch den Betrieb der restlichen Schiffe im Atlantik. Italien hingegen stellte nach dem Uberfall auf Griechenland Ende Oktober 1940 die Bedingung, dass die von der Schweiz gemieteten Schiffe unter neutraler Flagge zu fahren hatten. Nun musste der Bundesrat handeln: Am 9. April 1941 setzte er den «Beschluss über die Seeschiffahrt unter Schweizer Flagge» in Kraft. Mitten im KriegsgeschehenKriegsverluste konnten nicht ausbleiben. Der vom KTA gecharterte Griechendampfer «Mount Lycabettus» wurde am 17. März 1942 im Atlantik torpediert; alle 30 Besatzungsmitglieder fanden den Tod. Die «Maloja» wurde am 7. September 1943 vor Korsika versenkt. Drei Seeleute starben. Bis dahin hatte die «Maloja» im Pendelverkehr zwischen Lissabon und den Mittelmeerhäfen Genua und Savona über 40000 Tonnen Güter für die Schweiz transportiert. Am 22. April 1944 griffen britische Flugzeuge die «Chasseral» an. Als die Deutschen im November desselben Jahres in Marseille den Hafen sprengten, wurde die «Albula» derart beschädigt, dass sie sank. Die «Generoso» lief auf eine Mine; der russische Kapitän fand dabei den Tod. Mehr Glück hatte die «St-Cergue». Während des ganzen Krieges fuhr sie im Auftrag des KTA. Am 15. April 1942 fand die «St-Cergue» zehn Schiffbrüchige des norwegischen Tankers «Koll». Am 27. Juni desselben Jahres konnten 209 Uberlebende des holländischen Schiffes «Jagersfontein» gerettet werden, am 25. März 1943 22 Seeleute des schwedischen Frachters «Industria». Bei Kriegsende zählte die Flotte neun Einheiten. Es waren vor allem sehr alte und langsame Schiffe, so dass sich die grundsätzliche Frage stellte, ob die Handelsschiffahrt unter eigener Flagge beibehalten werden sollte. Eine Umfrage fiel aus kriegswirtschaftlichen Gründen positiv aus. Am 23. September 1953 verabschiedeten die eidgenössischen Räte das «Bundesgesetz über die Seeschiffahrt unter Schweizer Flagge». Hans R. Bachmann * * Hans R. Bachmann arbeitete als Deckoffizier und Auslandkorrespondent. Er hat 1966 unter dem Titel «Schweizer Schiffahrt auf den Meeren» ein Buch veröffentlicht und ist heute als Journalist / Redaktor in Greifensee tätig. Schweizer Seeschiffahrt im Umbruch Die Schweizer Handelsflotte zählt derzeit 13 Massenguifrachter, einen Mehrzweckfrachter und drei Wein- und Chemikalientanker. Einige der fünf Schweizer Reedereien (assen auch Schiffe unter ausländischer Flagge fahren. Ende 1998 waren auf den Schweizer Schiffen insgesamt 319 Seeleute beschäftigt, wo von 27 mit einem Schweizer Pass (8,5 Prozent). Gleichzeitig waren vier Schweizer als Kapitäne an Bord. Von 48 Deckoffizieren hatten fünf einen Schweizer Pass. Bei den Maschinenoffizieren einst eine feste helvetische Domäne waren von 53 Maschinisten nur noch vier Schweizer. Weshalb das geringe Interesse am Seemannsberuf? Heute lässt sich mit wenig Geld in ferne Länder reisen. Die Frachter bleiben in der Regel nur noch einige Stunden im Hafen und liegen zudem meist fernab in unattraktiven lndustriezonen. Der Seemann muss bei jedem Wetter harte Knochenarbeit leisten; die niedrige Heuer (Lohn) ist eine Folge der Globalisierung der Wirtschaft. © HRB 1999
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