Schweizer R E V U E 2/1999 |
Erinnerungen einer "Seemannsgotte" Doris Spörry |
Nie hätte ich geglaubt, dass mich die Aufgabe, die mir vor 31 Jahren beim damaligen Kurzwellensender übertragen wurde, ein ganzes langes Radio-Berufsleben hindurch begleiten würde. Ich betreute und moderierte die monatliche Gruss- und Wunschsendung «Seemannspost» ".. Durch sie kam ich mit interessanten Themen und Menschen, aber auch mit skurrilen Eigenbrötlern in Berührung. Diese Männer heuerten auf einem Hochseeschiff an, weil sie sich entweder die Welt anschauen oder der Enge der Heimat entfliehen wollten. Kontakte ergaben sich zum einen mit den Grussabsendern in der Schweiz, welche das Moderatorentrio häufig mit Tranksame oder Selbstgebackenem verwöhnten. Zum andern bestanden in Form von Briefen, Ansichtskarten oder persönlichen Begegnungen Kontakte zu den Grussempfängern in aller Welt. Gemischte Gefühle löste bei mir der auf hellblauem Papier mit zartem Mövenmotiv geschriebene Brief eines sehr jugendlichen Seefahrers aus, der sich wohl in seinen romantischen Träumereien getäuscht sah: Er hatte ihn an mich adressiert, doch nicht bedacht, dass er sich nur in meine Stimme verliebt hatte... Erfreulich waren immer die Besuche von Seeleuten auf Urlaub, die das Berner Radiostudio und vor allem die «Seemannsgotte», die sie ja nur per Stimme kannten, beäugen wollten. Nicht selten fand ein solcher Besuchstag seinen feuchtfröhlichen Abschluss im Keller der Gerechtigkeitsgasse 15 in Bern, dem Lokal der Berner Sektion des Seemannsclub der Schweiz. Ich wurde zu dessen Ehrenmitglied gekürt und mit Ausweis Nr. 1 bestückt. In den sieben Sektionen des heute 37 Jahre alten Seemannsclub wird manch Seemannsgarnknäuel entwirrt, werden Erinnerungen aufgefrischt sowie sportliche und gesellige Anlässe organisiert. Ausserdem wird gesungen, dies vor allem in Bern und Basel. Der «Störtebekers» genannte Chor aus Basel hat ein beachtliches Niveau und ein breites Repertoire an Seasongs und Shanties erarbeitet und mit öffentlichen Auftritten viele Freunde gewonnen. Doch zurück zu den Zeiten der «Seemannspost» auf Kurzwelle. Da flatterte mir einmal ein Brief vom Blauen Kreuz aufs Pult mit der Bitte, dem Alkoholkonsum auf den Hochseeschiffen nicht auch noch mit unserer Sendung Vorschub zu leisten. Die Absender baten mich, die Bemerkung, dass die Message den Empfänger gerade mal zwei Kisten Bier kosten würde, doch zu unterlassen. Damals galt auf den Schiffen die ungeschriebene Regel, dass jeder gehörte Gruss mit einer Kiste Bier für die Mannschaft honoriert werden musste. Wenn dazu noch Freddy Quinn und sein bei den Absendern so heiss geliebtes Lied vom Jungen, der bald wiederkommen soll, erklang, erhöhte sich die «Strafe» auf zwei Kisten. Natürlich addierten wir vor dem Mikrophon munter mit. Auf die Bitte des Blauen Kreuzes hin gaben wir diese lieb gewordene Gewohnheit auf. Ab und zu kam es vor, dass Ehefrauen und Mütter, Freundinnen und Bräute (manchmal zwei auf einen Seemann) bei uns im Studio erschienen, um ihre Grüsse persönlich auf Band zu sprechen. Ich staunte nicht schlecht, als eine aufgeregte Mutter plötzlich der mitgebrachten Kartonschachtel einen Kanarienvogel entnahm. Nachdem sich der irritierte Vogel geweigert hatte, auch nur einen Pieps von sich zu geben, hauchte sie ins Mikrophon: «Ou dr Hansi laht di grüesse!» (Auch Hansi lässt dich grüssen). Eine Begebenheit, die ich nie vergesse, ereignete sich auf meiner Reportagereise auf dem Frachter «Calanda». Ich kam damals in den Genuss eines langfädigen Fondues bei Seegang 6. Dann wurde ich Zeuge einer bewegenden Abschiedsszene, wie sie unter Seeleuten wohl üblich ist. Der Funkoffizier musste in Amsterdam von Bord, um das Schiff zu wechseln. Während sich dieser vom Kader verabschiedete, nutzten einige der Kollegen die Gelegenheit, sich seines Koffers zu bemächtigen und einen halben, von Maden in Bewegung gebrachten Tilsiterlaib zwischen die blütenweissen Hemden des Opfers zu schieben. Wenig später verabschiedeten sie sich mit traurigen Mienen und winkend an der Gangway von ihm. Nach meinem Wechsel im Jahr 1973 zu Radio DRS vermisste ich die Arbeit rund um die Seefahrt schmerzlich. Daher erfand ich Jahre später in einer schlaflosen Nacht die «umgekehrte Seemannspost», die ich «Von Ferne sei herzlich...» taufte. Während etwa zehn Jahren wurde diese Grussendung jeweils zum Jahresende ausgestrahlt. Die Stimmen der fernen Seemänner wurden via Küstenfunkstelle Bern Radio HEB eingefangen und über Schweizer Radio DRS in die gute Stube gebracht. Inzwischen hat sich manches verändert. Die gute alte «Seemannspost» ist Schnee von gestern, «Von Ferne sei herzlich...» wurde mangels Beteiligung abgesetzt. Taxcards und Jets ersetzen die Kurzwelle. Von damals etwa 450 sind noch knapp zwei Dutzend Seeleute an Bord. Mir aber sind die Erinnerung an ein einmaliges Abenteuer auf Radiowellen, der Kontakt zu den Seeleuten im Club und dieses tief sitzende, ewige Fernweh geblieben. Doris Spoerry * * Doris Spörry arbeitete 1963-1996 als Musikredaktorin/Moderatorin beim Telefonrundspruch, bei Schweizer Radio International und Radio DRS. Heute ist sie freie Journalistin / Reiseleiterin in Schliern bei Bern.
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