Schweizer Flagge auf der grauen Liste
Manuskript: Pierre André Reymond
Drohung einer Herabstufung der Schweizer Seeflagge Im Jahr 2016 zählte die Schweizer Handelsmarineflotte noch rund fünfzig Schiffe für sechs Reeder. In weniger als vier Jahren sind es jetzt nur noch etwa zwanzig für drei Reeder. Was ist passiert? Die Flotte unter Schweizer Flagge hat in den letzten Jahren aufgrund der weltweiten Schifffahrtsflaute Millionenverluste erlitten. Darüber hinaus ist ein deutschsprachiger Reeder in große wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Da seine Schiffe vom Bund garantiert wurden, musste dieser sein Dutzend Schiffe beschlagnahmen und zu einem niedrigen Preis zum Verkauf anbieten. Der Verlust belief sich auf mehr als 200 Millionen Schweizer Franken. Der betreffende Reeder wurde zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, nachdem ihn das Gericht des Kantons Bern des Betrugs und der unlauteren Geschäftsführung für schuldig befunden hatte. Aber der Bund trägt (verständlicherweise) den Verlust. Es sollte beachtet werden, dass der Kauf eines Hochseeschiffes eine teure und komplexe Angelegenheit ist, die finanziell viele Millionen ausmacht. In der Schweiz ermöglicht eine Staatsgarantie den Schiffseignern, Kredite zu einem um 1 bis 2 % niedrigeren Zinssatz als auf dem Finanzmarkt aufzunehmen. Dies geschieht als Ausgleich für die mögliche Requirierung von Schiffen in Krisen- oder Kriegszeiten. Aber es gibt auch die Steuerung von Schiffen. Die International Maritime Organisation (IMO) ist weltweit für die Sicherheit im Seeverkehr zuständig. Allerdings sorgen nicht alle Staaten für die Einhaltung dieser internationalen Regeln. Daraufhin haben dieselben Staaten mit der Einführung eines koordinierten Kontrollsystems für ausländische Schiffe, die ihre Häfen anlaufen, reagiert. So kann zum Beispiel ein Schiff unter Schweizer Flagge in jedem europäischen Hafen inspiziert werden. Diese regionalen Vereinbarungen werden als MoUs (Memorandum of Understanding on Port State Control) bezeichnet. Auf seiner 52. Sitzung legte der Pariser MoU-Ausschuss seine Klassifizierung nach weißen, grauen oder schwarzen Listen von Schiffen unter 73 Flaggen entsprechend den 53.307 Überprüfungen vor, die zwischen 2016 und 2018 von den Verwaltungen der Unterzeichnerstaaten, d. h. 25 europäischen Ländern sowie Kanada und den Vereinigten Staaten, durchgeführt wurden. Die weiße Liste umfasst 41 Staaten (vorher 40). Auf der "grauen" Liste stehen 18 Staaten (gegenüber 20 im Jahr 2017), darunter die Schweiz und die USA, die damit zum Beispiel mit Libyen und dem Iran buhlen. Die "schwarze" Liste umfasst 14 Flaggen (13 im Jahr 2017), eingestuft von mittlerem bis sehr hohes Risiko. Die Komoren, Togo und Kongo bleiben am Ende der Liste. Diese Situation ist auf die zu geringe Anzahl von Überprüfungen zurückzuführen, die in den angegebenen Jahren auf Schiffen unter Schweizer Flagge durchgeführt wurden. Infolgedessen wurde die Weißkreuzflagge auf die graue Liste der IMO gesetzt und ist davon bedroht, auf die schwarze Liste der Hochrisikoflaggen gesetzt zu werden. Um den Schaden zu begrenzen, hat Bern eine noch nie dagewesene Maßnahme ergriffen: den Reedern zu erlauben, ihre Flagge vorübergehend auf eine weniger exponierte Farbe zu ändern. Diese Bundesverordnung ist am 01.11.2020 in Kraft getreten und kann im Internet eingesehen werden. So haben die letzten beiden Schiffe der Swiss-Atlantique SA sehr schweizerische Namen (GENERAL GUISAN und NYON), sind aber in Majuro, Marshall Islands, registriert. Der Schweizerische Reederverband mit Sitz in Genf hat seinerseits im Mai 2020 ein Weißbuch veröffentlicht, wie die Schweizer Flotte auf hoher See geschützt werden kann. Es sollte nicht vergessen werden, dass die Seeverkehrsindustrie auf hoher See mehr als 2000 direkte Arbeitsplätze darstellt, wie in der Pressemitteilung des besagten Verbandes angegeben. P.-A. Reymond Quellen: - Verschiedene Artikel in der Schweizer Presse der letzten Jahre, insbesondere von Hervé Deiss und Olivier Grivat - Verordnung 62833 über die Bindung von Finanzkrediten für Schweizer Seeschiffe. |