Mein erstes Seeschiff Mein erstes Seeschiff war das M/S „Maloja“, erbaut 1952 auf der Rickmers Werft in Bremerhaven. Länge 118,6 Meter, Breite 15,9 Meter, als Volldecker 4755 BRT bei 6604 mto Ladefähigkeit. Für ihre Zeit war sie ein sehr modernes Schiff mit stählernen Lukendeckel von McGregor und Hatlapa Ladewinden mit integrierten Hangerwinden. Das Schiff hatte A-Masten und am vorderen Mast einen 30- Tonnen Schwergutbaum. Ausserdem war ein Radargerät und ein Kreiselkompass eingebaut, allerdings noch kein Selbststeuergerät. Sie ist speziell für den Einsatz in der Westafrikafahrt gebaut und ausgerüstet worden. Das heisst, unter der Back befanden sich einige Kabinen, Duschen und Toiletten sowie eine Küche. Ich kam am 23. 3. 1954 in Antwerpen an Bord als Deckhand. Dass ich schon drei Jahre an Bord von Rheinschiffen gearbeitet hatte, brachte mir in der Beziehung keinen Vorteil. Einige der seemännischen Arbeiten kannte ich aber schon, z. B. Drähte und Manilatauwerk spleissen, Rostklopfen, malen und steuern, allerdings nur nach Land, steuern nach Kompass lernte ich erst an Bord der „Maloja“. Weil ich der jüngere Deckhand war, musste ich am Vormittag Dienst in der Matrosenmesse verrichten, d.h. Frühstück aufdecken, Messe und Pantry reinigen, die Kabinen von Bootsmann und Zimmermann in Ordnung halten, mittags aufdecken und die Messe aufklaren. Um 13 Uhr ging es an Deck bis etwa halb fünf, dann duschen und erneut aufdecken und aufklaren. Glücklicherweise konnte ich dann aber wöchentlich mit der anderen Deckhand die Arbeit wechseln. Das Schiff fuhr für die „Union Afrika Linie“ und kam von Afrika mit Ladung für Antwerpen, Rotterdam, Bremen und Hamburg. Nachdem in Hamburg das Schiff leer war, ging es zur Howaldts-Werft wegen Unterwasseranstrich und einiger Reparaturen. Dann wurde die neue Reise bekannt gegeben. Es sollte nach New York gehen, um dort bei der WARD-Line eine sechsmonatige Charter anzutreten. Zu der Zeit, direkt nach Amerika, alles war begeistert. Die Überfahrt habe ich in sehr schlechter Erinnerung, April, lausiges Wetter, leeres Schiff und fast nur in den Laderäumen gearbeitet. Die mussten für den Charterer in bestem Zustand sein. Nach etwa zwei Wochen waren wir am Ziel. An der Freiheitsstatue vorbei, Manhattan längs ging es zu unserem Liegeplatz am Hudsonriver. Ward-Line hatte dort ihre eigene Pier, eine Nummer in den 30igern. Die Einklarierung dauerte ziemlich lange. Wir wurden alle fotografiert und erhielten, beim zweiten Anlaufen von New York, spezielle Landgangs Ausweise aus Plastik. In Sachen amerikanische Passkontrolle wurde mir Jahre später die folgende Geschichte erzählt, die ich absolut für echt halte: Als nach dem zweiten Weltkrieg die ersten Schiffe mit deutschen Besatzungen nach Amerika kamen, wurden alle Mann auf das Bootsdeck kommandiert. Der Beamte fragte jeden einzelnen, warst du Nazi? Die Leute die mit „Ja“ antworteten wurden nach links geschickt, wer kein ehemaliger Nazi war, musste nach rechts. Dann der Spruch des Beamten: Ihr seid Nazis gewesen also keine Kommunisten, ihr dürft an Land. Ihr anderen, ihr wart keine Nazis, könntet also Kommunisten gewesen sein, kein Landgang. In der Nähe der Pier war eine U-Bahnstation und drei oder vier Stationen weiter war man an der 42. Strasse / Broadway. Für die Fahrt mit der U-Bahn musste man vorher einen Chip für 25 Cent kaufen, ihn in eine Box an der Sperre werfen, dann konnte man losfahren. Eintritt in die kleineren Kinos war 50 – 75 Cent für zwei Filme, am Broadway für einen Film ab 1. Dollar. Es war sehr beeindruckend, was da an Leuchtreklamen zu sehen war, vor allen Dingen der Camel Raucher, aus dessen Mund Rauchringe kamen. Was nicht so ins Bild passte, waren die Bettler. Ich war platt, Bettler im reichsten Land der Welt.
Das Schiff wurde dann beladen und für die 6 Doppelpassagierkabinen kamen auch Touristen an Bord
Die Reise ging dann von New York zum Delaware River und von dort durch den Kanal in die Chesapeake Bucht nach Baltimore. Die Strecke durch den Kanal passierten wir immer an einem Sonntag. Weiter ging die Reise nach Havanna, wo das Leben pulsierte und die Drinks billig waren. Bei einer Heuer von 63.- US-Dollar und 50 Cent für eine Überstunde war das kein unwichtiger Faktor. Weiter ging es nach Vera Cruz, wo ich das mexikanische Bier und die Mariachis kennenlernte. Das Bier schmeckte und die kleinen Orchester wanderten von Lokal zu Lokal, bzw. von Tisch zu Tisch und spielten, gegen ein oder zwei Pesos ihr Repertoire. Zwei Mann trugen die Marimba und spielten meist auch zu zweit darauf und sangen. Dazu kam meist ein Trompeter, ein Geiger, einer mit Gitarre und einer der den Takt mit einer Rassel oder Kalebasse angab. Grosse Favoriten waren damals „Cien anos“, „La Calandria“ und natürlich „Cu Curru Cucu Paloma“. Der nächste Hafen war Tampico und manchmal noch Coatzacoalcos. Dann zurück über Havanna nach New York. In New York sahen wir, als wir mit Pinsel und Farbeimern auf der Stellage die Bordwand malten, wie schnell auf dem Nachbarschiff die Bordwand einen neuen Anstrich bekam. Da wurde mit Farbrollen von einem Floss aus gemalt. Wir waren überrascht. Kurze Zeit später gab es auch bei uns die neumodischen Dinger, die am Anfang nur vom Bootsmann benutzt wurden, etwas später auch von den Vollmatrosen.
Nach sechs Rundreisen war die Charter bei Ward-Line abgelaufen Von New York ging es nach Jacksonville und anschliessend nach Wilmington und dann mit voller Ladung nach London, West India Docks. Als erstes wurde dort bekannt gegeben, dass hier im Hafen nicht die Bord- sondern die Landtoiletten benutzt werden müssen. Ich fand das etwas übertrieben, denn das Hafenwasser war so verschmutzt, dass man fast darauf gehen konnte. Das Einzige, was mir im Gedächtnis geblieben ist vom damaligen Aufenthalt, sind die Öffnungszeiten der Pubs. Wann immer ich frei hatte und mal ein englisches Bier trinken wollte, die Kneipe war dicht. Von London aus ging es zurück nach Hamburg, wo wir am Schuppen 29 bei den Deutschen Afrikalinien, bzw. Woermann festmachten. Ein Trupp Maler kam an Bord und brachte die Woermann Farben am Schornstein an. Die Schornsteinmarke blieb dann für fast 19 Jahre. Proviant und Getränke wurden für vier Monate übernommen, dann kam noch zusätzlicher Proviant an Bord für die etwa 65 Kroboys, die in Monrovia an Bord kommen sollten. Die Ladung wurde dann in Hamburg, Bremen, Rotterdam und Antwerpen an Bord genommen, dann ging es südlich nach Dakar, dem ersten afrikanischen Hafen. Das war nur ein kurzer Stopp, etwas Ladung gelöscht und Trinkwasser gebunkert. Der nächste Hafen war Monrovia, auch dort wurde nicht viel Ladung gelöscht. Aber da kamen dann die Kroboys an Bord. Jeder von Ihnen hatte eine mehr oder weniger grosse, fast leere, meist selbstgezimmerte Holzkiste (sogenannte Mamybox), mit einem grossen Schloss, für seine persönlichen Habseligkeiten bei sich. Alles wurde bei Luke 1 an Bord gehievt. Der Headman mit seinen Unterchefs bezogen die Kabinen unter der Back und der Koch richtete seine Küche ein. Für den Rest der Männer riggten wir eine Art Regensegel mit Seitenklappen über der Luke 1. Darin stellte das „Fussvolk“ seine Feldbetten auf und wohnte dort während der etwa zwei Monate, die es an Bord lebte. 1954 war in Westafrika nur Liberia ein eigener Staat, der Rest waren alles noch Kolonien von England, Frankreich, Spanien, Portugal und Belgien. Die Schiffe konnten daher ihre eigenen Stauer an Bord zum Löschen und Laden einsetzen. Nur an der Pier nahmen die einheimischen Arbeiter die Ladung ab. Zur Verstärkung konnten aber auch Stauer von Land an Bord eingesetzt werden. An Bord wurden die Kroboys denn auch sofort eingeteilt. Einige kamen in den Maschinenraum zum Reinigen, zwei wurden in die Bordküche geschickt, ein sehr begehrter Posten wie ich später erfuhr. Die restlichen Männer, natürlich ohne die verschiedenen „Chiefs“ wurden auf See zum Rostklopfen, Deckwaschen und Luken Reinigen eingesetzt. In den Häfen übernahmen sie in den Luken die Löscharbeiten. Unter den Kroboys an Bord herrschte eine strenge Rangordnung, die durch die Vorleute mit gelegentlichen Fusstritten bzw. Prügel aufrecht erhalten wurde. Dies konnte auch bei den Arbeiten an Bord festgestellt werden. Jeder hatte seinen festen Job. Da waren die Windenfahrer für jedes Baumpaar und der Deckmann, bzw. der Luken Vormann. Beim Deckwaschen war immer der gleiche Mann am Strahlrohr usw. Und über allen stand der Headman mit seinem Delegator, der die Arbeits- und Überstunden der ganzen Leute notierte. Mit den beiden durfte es sich keiner verderben. Die nächsten Häfen waren Takoradi-Sekondi und dann Accra. Die „Maloja“ ankerte vor der Küste und der Agent wurde mit einem der Brandungsboote zum Schiff gepaddelt. Er wurde per „Mamychair“ mit dem Ladegeschirr an Bord gehievt, was bei rollendem Schiff nicht immer angenehm war. Der“ Mamychair“ war ein hölzerner Lehnstuhl mit vier Stroppen, die an den Ladehaken gehängt wurden. Ich denke, die afrikanischen Windenleute hatten beim rollenden Schiff eine diebische Freude bei ihrer „Arbeit.“ Die ganze Ladung für Accra wurde in die Brandungsboote gelöscht, die etwa eine Tonne mitnehmen konnten. Pro Boot war ein Steuermann und auf jeder Seite fünf oder sechs Paddler. Der untere Teil der Paddel war meist weiss gestrichen und wenn die Boote übers Wasser kamen, die Paddel genau im Takt eingetaucht wurden, sah es aus, wie wenn ein Insekt mit zehn oder zwölf Beinen über das Wasser kommt. Für Moniereisenbündel wurden zwei Boote nebeneinander gelascht und das Bündel in die Mitte gelegt. Dass ab und zu Ladung verloren ging, versteht sich wohl von selbst. Ausserdem konnte nur bei wenig Dünung gearbeitet werden.
Der nächste Hafen war dann Lagos. Zuerst ging es an die alten Piers der Custom Wharf in Lagos, dann auf die andere Seite des Flusses nach Apapa, wo der neue Hafen entstand. Weiter südlich ging es nach Port Harcourt, Santa Isabel den Kongo hinauf nach Matadi. Die Fahrt den Fluss hoch war immer interessant, es wurde nur am Tag gefahren und hin und wieder wurden vom Lotsen per Typhon Krokodile aufgeschreckt. Gesehen habe ich keins, aber Lotse und Wachoffizier redeten darüber. Dann, kurz vor Matadi kam das „Höllenloch“, wo es viele Wirbel und eine sehr starke Strömung gab. Mit Ach und Krach kam das Schiff durch und weiter zum Hafen. Je nach Fahrplan ging es manchmal noch nach Luanda und Lobito in Angola, damals schöne und saubere Städte. Nach dem letzten Löschhafen begann die Beladung für die Heimreise, und nun wurden die Kroboys richtig gebraucht. Sie waren Spezialisten beim Laden von Baumstämmen. Sehr oft ging die „Maloja“ irgendwo an der Küste vor Anker und ein paar Stunden später brachte ein kleiner Schlepper ein grosses Floss Baumstämme längsseits. Zwei oder drei der Kroboys, die gut bezahlten Waterboys, gingen aussenbords auf das Floss um die Stämme anzuschlagen. Ein gefährliches Unterfangen, besonders wenn eine Dünung da war. Oft mussten die Ladearbeiten auch wegen zu hoher Dünung unterbrochen werden.
Vorher wurde das Ladegeschirr präpariert, Runner doppelt, so dass fünf Tonnen gehievt werden konnten und der Ladebaum wurde als Schwingbaum benutzt. Auf die zweite Ladewinde wurde ein alter Runner geschoren. Mit dem wurde im Laderaum mit Hilfe von einem an Spanten befestigten Klappblock die Stämme unter Deck in die Seiten gehievt. Eine riskante Arbeit, die die Kroboys aber sehr gut beherrschten.
Bei anderen Reisen ging es nicht soweit in den Süden. Wurde das Schiff schon in Lagos leer, konnte es in die Creek Häfen Warri oder Sapele gehen. Wegen der geringen Wassertiefe von nur 18 Fuss auf der Barre vor der Mündung fuhr man so von Lagos weg, um bei Tagesanbruch dort zu sein. Der angeforderte einheimische Lotse kam per Einbaum mit wehender Woermann-Flagge nach der Barre und stieg über die Lotsentreppe an Bord, er brachte auch ein oder zwei Familienmitglieder als Steurer mit. Mit seiner Hilfe war man dann gegen Abend am Ladeplatz. Die Fahrt durch die Creeks war richtig abwechslungsreich. Der Mangrovendschungel wuchs bis dicht ans Wasser. Ab und zu passierten wir ein aus Bambus- und Blechhütten bestehendes Eingeborenendorf. Die Dorfjugend beeilte sich, mit den Kanus an das vorbeifahrende Schiff heranzukommen. Von der Besatzung wurden dann leere Flaschen, Farbeimer oder auch alte Kleider aussenbords geworfen. Alles wurde von den Kanubesatzungen aus dem Wasser gefischt und irgendwie weiterverwendet. Dass es dabei zu Wettfahrten und Kollisionen zwischen den Kanus kam, war ja klar und wir hatten unseren Spass daran. In den Creeks wurde Roh Gummi und auch Baumstämme geladen. Und jetzt wurde es spannend. Während des Löschens verschwand ja immer Einiges aus der Ladung. Wie wir dann herausfanden, wurde das Meiste davon im Unterraum auf die Unterzüge gelegt oder in Lüftungsschächten versteckt. Als dann die Ladung im Unterraum immer höher kam, hat dann jeder die „organisierten“ Sachen (Schuhe, Ersatzteile für Fahrräder, Sardinendosen, Stockfisch, andere Konserven, Bier usw.) geholt und in seine „Mamybox“ gepackt. Die waren bei Ankunft Monrovia ganz schön schwer. Wenn in den Zwischendecks noch Kaffee oder Kakao geladen werden sollte, wurden die Zwischendeckluken mit Persenning abgedichtet wegen Geruch und Feuchtigkeit.
In Monrovia wurden die Kroboys ausgeschifft, die schweren Kisten an Land gehievt und die Fahrt nach Nordeuropa fortgesetzt. Über Antwerpen, Rotterdam und Bremen ging es wieder nach Hamburg. Erst wurden bei „Holzmüller“ die Stämme entladen, dann an den Pfählen das Stückgut in Schuten gelöscht. Wenn Kakao gelöscht wurde ging das meist „über die Waage“. Eine grosse Dezimalwaage wurde an Deck gestellt und genau in die waagerechte gebracht. Dann wurde der innere Ladebaum über die Waage gestellt, der Aussenbords Ladebaum über die Schute. An der Verschanzung wurde mit hölzernen Lukendeckeln aus dem Zwischendeck eine glatte Wand hergestellt. Mit dem inneren Ladebaum wurde nun die Hieve mit 15 Sack Kakao irgendwie an Deck gehievt und auf der Waage abgesetzt. Die Schlinge abgeklemmt, damit sie nicht auseinanderfiel, und der Ladehaken gelöst. Hieve gewogen, Haken vom Aussenbordbaum angeschlagen, Hieve an gehievt, gegen die Lukendeckel an der Verschanzung, über die Verschanzung in die Schute gefiert. Ein Komplizierter Vorgang, dem auch eine Menge Kakaosäcke zum Opfer fielen. Wenn die ganze Ladung gelöscht war, kam eine Reinigungsgang an Bord um die Luken sauber zu machen und den Müll abzufahren. Anschliessend gings zur Beladung zum Schuppen 29. Wurde am 21. 01. 1955 zum Leichtmatrosen um gemustert und blieb noch bis zum 12.9.1955 an Bord. War dann Jahre später wieder an Bord, erst als 1. Offizier, dann als Kapitän. Gez. H. Schildknecht Afrikafotos von SwissShips (B.T. Furrer, Ueli Stehrenberger, H. Clenin)
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